Purpurdämmern (German Edition)
auch nicht. Am liebsten würde ich für immer mit dir hierbleiben.«
»Hier im Teich?« Er hob seinen Kopf noch etwas mehr, sodass seine Lippen ihre streiften.
»Idiot.« Sie erwiderte den Kuss.
Die Akeleien schwatzten und summten und äußerten ihre Freude über die romantische Nacht, doch sie verhielten sich dabei sehr leise, um die Idylle nicht zu stören.
9
Zwei weitere Tage vergingen, ohne dass der Buchstabensammler auftauchte. Die Risse am Himmel pulsierten unverändert. Die Tonnen entlang der Schlucht erloschen, weil die Menschen, die in den Zelten dort gelebt hatten, vor den Spalthunden flohen.
Ken verbrachte die Tage mit Lektionen in Wille und Vision. Beim Anblick der Flüster-Akeleien hatte Santino das Gesicht in einer Mischung aus Unglauben und Respekt verzogen und etwas davon gemurmelt, dass sie vielleicht einen Blumenhandel aufmachen sollten. Die Abende verträumte er mit Marielle auf dem Dach der Festung. Nachts schliefen sie eng aneinandergeschmiegt in einer Nische ein Stockwerk tiefer in einem Meer bunter Kissen. Santino hatte seine Decken genommen und war in die Bibliothek gezogen. Ken war dankbar für sein Feingefühl. Die Purpurkätzchen spritzten nicht mehr erschreckt auseinander, wenn Ken sich näherte. Und Nessa sonnte sich den ganzen Tag in einer Fensternische und wurde es nicht müde, die Spalthunde zur Weißglut zu treiben, indem sie gerade außerhalb ihrer Reichweite übers Fensterbrett stolzierte.
Der Buchstabensammler blieb verschwunden.
»Er kommt zurück«, versicherte Marielle, wann immer Santino das Thema zur Sprache brachte. »Er kommt bestimmt.«
Am Morgen des dritten Tages überraschte Ken den Magier auf einer Holzkiste kauernd, wie er die Gravuren auf seinem Schwert mit dem Finger nachfuhr. Der Lederhandschuh, der stets seine linke Hand verhüllte, lag neben ihm. Als Santino ihn bemerkte, griff er nach dem Handschuh, hielt aber mitten in der Bewegung inne. Kens Blick sog sich am Handrücken fest, der von einem Geflecht heller Narben bedeckt war und an den Fingergelenken von feinen, bronzefarbenen Plättchen überlappt wurde. Sie fügten sich in Finger aus dem gleichen Material, die ungeheuer feinteilig konstruiert waren und deren Elemente auf die kleinste Bewegung reagierten. Fast wie echte Haut. Nur dass diese hier aus Metall bestand. Einzig der Ringfinger sah normal aus.
»Wow«, entschlüpfte es ihm, »ist die künstlich?«
Santino bewegte die Finger wie ein Klavierspieler. »Die meisten Leute irritiert der Anblick.«
»Sieht abgefahren aus.«
»Eine alte Verletzung.« Er streifte das Leder über die Cyborg-Finger. »Inzwischen fühlt es sich an wie Fleisch und Blut.«
»Und ich dachte, da wo du herkommst, repariert man alles mit Magie.«
»Nicht alles.« Eine Spur Traurigkeit lag in Santinos Lächeln, und Ken spürte, dass viel mehr unter der Oberfläche mitschwang. »Die hier hat mir ein begabter Mechaniker in einer Welt nahe am Kern hergestellt. Nicht in deiner. Eure Technologie ist mindestens noch fünfzig Jahre davon entfernt, so etwas zu bauen.«
»Ähm, ja.« Ken musterte das Schwert, das mit blanker Klinge über den Knien des Magiers lag. In den Haarlinienmustern tanzte ein rötlicher Glanz, wallte auf und verblasste wieder. Das Blatt, lang und schlank, ähnelte einem japanischen Katana. Nur Heft und Querstange passten nicht, die muteten eher mittelalterlich an. Das Heft war mit dunkelroten Lederstreifen umwickelt und endete in einem silbrig schwarzen Knauf, der mit lauter kleinen Fratzen bedeckt war. Die Enden der Parierstange waren zur Klinge hin gebogen, das Metall von der gleichen Farbe wie Santinos rankenförmiger Armreif und mit ebensolchen Juwelen besetzt. Winzig waren sie, schimmerten gelb und folgten dem Verlauf gravierter Linien.
»Ich wollte dich fragen, ob du mir was beibringen könntest. Was Bestimmtes.«
Santino schob das Schwert in die Scheide und legte das Waffengehenk auf den Boden. »Was brauchst du? Ein Liebestrank dürfte ja vorerst nicht notwendig sein.«
»Nein, nicht das.« Er errötete. »Es ist nur, wenn ich zurück bin in meiner Welt …«
»Ich dachte, du wolltest mich begleiten?«
»Ja, aber ich muss wenigstens meine Sachen packen und mich von meiner Mom verabschieden, oder? Außerdem will ich sie ab und an besuchen.« Ken rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Erinnerst du dich an die Typen, die mich verprügeln wollten, gerade als du aufgetaucht bist?«
»Die dich verprügelt
haben
«, korrigierte ihn
Weitere Kostenlose Bücher