Purpurdämmern (German Edition)
ihn.
»Sie ist im Scharlachrot geboren, aus einer Blutlinie, die sehr viel Wissen über die Sphären des Scharlachrot besitzt und sehr wenig über den Rabenfächer. Stimmt’s, Nessa? Deine Abstammungslinie hat sich vor tausend Jahren schon von den Propheten von Chininille abgespalten.«
Die Purpurkatze zog die Lefzen hoch und entblößte nadelspitze Zähne, wie Marielle es noch nie gesehen hatte. Es jagte ihr einen kleinen Schrecken ein, wie ihre zwar streitlustige, aber körperlichen Auseinandersetzungen eher abgeneigte Gefährtin sich in ein zähnefletschendes, kleines Ungeheuer verwandelte. Gut, Nessa und Santino konnten sich nicht besonders gut leiden. In zehn Jahren hatten sie es nicht geschafft, sich weiter anzunähern als bis zu einem Waffenstillstand. Aber das hier war eine neue Stufe der Eskalation.
In Santinos Augen lag Belustigung. Er hob sein Kätzchen an und drehte es herum. »Siehst du diesen sternförmigen Fleck an der Kehle? Das ist das Geburtsmerkmal der Chininille-Linien. Aber bei ihr –«
Er streckte eine Hand nach Nessa aus, doch die Purpurkatze schoss mit einem wütenden Knurren einen Kistenstapel hinauf. Dort krallte sie sich an der Kante fest, ihr Fell aufgestellt zu einem roten Wutkissen. In ihren Augen glitzerte Mord.
»Nessa!«, rief sie ihr nach. »Jetzt komm wieder runter! Er meint es nicht so!«
Ich hasse ihn! Er ist ein Dämon, er ist noch schlimmer als dieser Bastard Rupertin! Aber ich werde all seine schmutzigen Geheimnisse finden und sie ihm aus der Seele reißen, und dann wirst du schon sehen, wem du dein Vertrauen geschenkt hast!
»Nessa …«
Hörst du, böser Magier? Ich finde sie und dann bringe ich dich zur Strecke!
»Dabei interessiert es doch niemanden, ob du nun im Scharlachrot geboren bist oder im Rabenfächer!« Santino blickte von Nessa zurück zu Marielle. »Oder interessiert
dich
das?«
»Keine Ahnung, was euer Problem ist.« Bei Sarrakhan, was hatte sie mit den Geburtslinien von Purpurkatzen zu schaffen? Weder begriff sie, warum sich Nessa so aufregte, noch, wieso Santino sie unbedingt damit ärgern musste.
»Sie sind dünkelhaft, was ihre Abstammung betrifft.« Er grinste übers ganze Gesicht. »Sie denken, sie wären weniger wert, wenn sie nicht nachweisen können, dass ihr Stammbaum direkt zu den Propheten zurückreicht.«
»Wie auch immer.« Entnervt zupfte sie an ihren Zöpfen. »Der Buchstabensammler hat einen Wutanfall bekommen, als er den Akeleien-Teich auf dem Dach gesehen hat. Er hat gesagt, die Flüster-Akeleien seien Spione der Kjer.«
Zu ihrer Überraschung lachte Santino nicht, wie sie es erwartet hatte. Sein Grinsen verschwand, die Linien um seinen Mund verhärteten sich. »Ist das so?«
»Keine Ahnung. Mir erklärt ja niemand was!«
»Nein.« Sein Blick verlor den Fokus. Er sah durch sie hindurch, wie tief ins Grübeln versunken. »Nein, das wäre … das kann nicht sein.« Seine Arme sanken herab, während das Kätzchen sich mit einem Sprung aus seiner Hand rettete. Schwer ließ er sich gegen einen Pfeiler sinken. »Aber wenn das wahr wäre? Sarrakhans Fäule! Wo steckt dieser Buchstabensammler? Wann ist er zurückgekommen?«
»Keine Ahnung. Vor ein paar Stunden.« Sie ließ ihre Zöpfe los und schielte zu Nessa, die wie ein Feuerdämon auf ihrer Kiste brütete. »Ich habe ihn auf dem Dach getroffen, da hat er wie ein Verrückter die Blüten ins Feuer geworfen. Keine Ahnung, wo er jetzt steckt. Er sagte, er müsse seine Sachen packen.«
Santino war bleich geworden unter der Bräune seiner Haut. Er musterte einen imaginären Punkt hinter ihr und antwortete nicht. Sie konnte ihn förmlich sehen, den Mahlstrom, der hinter seiner Stirn tobte. Was hätte sie darum gegeben, in ihn hineinschauen zu können.
»Was ist jetzt mit dem Imperium von Kjer? Der Buchstabensammler sagt, es sei eine Pest aus den Tiefen des Rabenfächers.«
»Eine Pest, ja.« In der Stimme des Magiers klafften Risse.
»Kennst du sie?«
»Ob ich sie kenne?« Ein Mundwinkel zuckte. »Die Geißel des Südens? Erinnerst du dich an die Reiter, die mich töten wollten? Damals, in der Obsidianwüste, bevor du uns in den Garten des Tíraphal gerettet hast?«
Ob sie sich erinnerte? Machte er Witze? Natürlich erinnerte sie sich.
»Das waren Legionäre der Kjer.« Er schloss die Augen, aber sprach weiter. »Jemand, dem ich vertraute, hatte mich verraten. Dieser Ort war eine Falle. Und die Blumenfelder … wenn es stimmt, was dein Buchstabensammler sagt, erklärt das ein
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