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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Licht über den Horizont zuckte, eine Entladung, die die Hülle der Welt aufglühen ließ.
    »Das kannst du nicht wissen.« Santino starrte hoch zur Hauptader im Geflecht der Risse, dem klaffenden Spalt, aus dem die Devora in die Sphäre gestürzt war. Nach dem letzten Beben war halb Downtown darin zersplittert. Das Jaulen der Hunde stieg an und verebbte. Weit entfernt hallte das Gebrüll der Devora durch die Nacht.
    »Wer hat drei Menschenleben im Zirkel verbracht, du oder ich? Ich sage dir, sie haben ihre Augen und Ohren längst im Scharlachrot. Bei Sarrakhans faltigen Füßen, Rhonda von den Zwölf Aschen geht an Maebhs Hof ein und aus und genießt höchste Ehren! Was glaubst du, wie viel Geheimnis Níval am Hof des Imperators noch ist, wenn eine Kjer der Königinmutter in Tír na Avalâín als Ratgeberin dient? Wo eine ist, da gibt es noch mehr. Wenn nicht Rhonda, dann haben andere dem Imperator von der reifen Frucht berichtet, die nur darauf wartet, gepflückt zu werden. Vielleicht waren es die verfluchten Akeleien, die ihm von den schönen Welten des Scharlachrot gesungen haben.«
    Es fühlte sich an wie ein Sturz aus großer Höhe. Wie ein Schwall Eiswasser, der sich unvermittelt über seinem Kopf ergoss. Rhonda? Er musste sich verhört haben.
    »Wer?«, fragte er.
    »Rhonda. Die weiße Wölfin.« Der Buchstabensammler massierte sich die Stirn. »Vielleicht erinnerst du dich nicht. Sie saß im Imperialen Rat der Wesire und besuchte ein paarmal die Akademie in Aruadh, bevor der Imperator seinen Bluthunden die Leinen schießen ließ und sie die Sommerküste verbrannten. Es gibt Gerüchte, dass sie selbst versucht hat, ihn zu töten, nachdem er ihren Bruder auf die Todesfelder schickte. Vor ein paar Jahren entdeckte ich sie in Tír na Avalâín an der Seite der Königinmutter und dachte zuerst, meine Augen spielen mir einen Streich.«
    Santino hörte ihn kaum. Die Worte fielen wie hohle Eisenkugeln vor seinen Ohren herab und schepperten gegeneinander, bis die Echos jegliche Bedeutung übertönten. Oder vielleicht lag es auch an den Bildern, die aus dem Dunkel aufstiegen und alle Dämme fortspülten, die er so mühsam um seinen Geist errichtet hatte. Jahr um Jahr, in denen er sich das Gift aus der Wunde in seiner Seele saugte. In denen er versucht hatte, zu fassen, was nicht fassbar war. Sich der einfachen Wahrheit zu stellen, dass sie ihn verraten hatte. Dass sie ihre Rache höher stellte als die Liebe zwischen ihnen. Er hatte ihr blindlings vertraut, und sie hatte ihn an den Tod verkauft, so einfach war das.
    »Rhonda.« Seine Lippen fühlten sich taub an, während sie den Namen formten. Und ihn nicht einmal laut aussprachen, weil ihm die Worte in der Kehle stecken blieben. »Wie ist das möglich?«
    Es gab nur eine Erklärung. Rhonda war bei den Kjer-Jägern gewesen, die ihn durch die Obsidianwüste gejagt hatten, und nachdem er mit Marielle durchs Portal in der Meeresbrandung geflohen war, musste sie ihm gefolgt sein. Zwar hatte sich das Tor hinter ihnen sofort wieder geschlossen, aber vielleicht hatte sein Echo das Gewebe so weit gelockert, dass es Rhonda gelungen war, ein eigenes Tor zu erzeugen, das aufs gleiche Ziel ausgerichtet war. Rhonda war eine überragende Architektin.
    Doch solche Echo-Peilungen konnten niemals mehr als Annäherungen sein. Rhonda war ihnen gefolgt, aber sie war auf der anderen Seite des Nebelsees gelandet, in Tír na Avalâín, der rosenfarbenen Stadt der Licht-Fayeí. Und sie musste allein gegangen sein, ohne die Kriegsschar des Imperators. Sonst hätte die Kunde der fremden Legionäre auch Tír na Mórí erreicht. Eoghan hatte Botschafter in Tír na Avalâín, die für ihn spionierten, ebenso wie Graf Felím es für die Königinmutter der Licht-Fayeí tat.
    Und dann hätte Santino davon erfahren.
    Ob Rhonda wusste, dass er sich in Tír na Mórí verkroch? Er hatte sich jahrelang gefragt, was sie im Austausch für ihren Verrat erhalten hatte. Es musste etwas Kostbares sein, etwas, das sie ihrem Ziel, den Imperator zu vernichten, näher brachte. Etwas, das nur ein anderer Kjer ihr besorgen konnte, ein Karrierist, der mit der Gefangennahme von Santino glänzen konnte, und dem das Schicksal seines Herrschers darüber hinaus gleichgültig war.
    Ob sie noch manchmal an ihn dachte? Ob sie ihre Tat bereute?
    »Was ist?«, drang Umos Stimme durch den Mahlstrom seiner Gedanken. »Stimmt etwas nicht?«
    »Ich … nein. Nichts.« Er stieg aus dem dunklen See seiner Erinnerungen hoch und

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