Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
Vom Netzwerk:
streifte die Bilder ab wie faulige Schlingpflanzen. »Es ist nichts.«
    Der Buchstabensammler kniff die Augen zusammen. »Du konntest mich schon nicht anlügen, als du noch ein Rotzbengel an der Akademie warst. Warum glaubst du, jetzt damit durchzukommen?«
    »Die alten Geschichten schlagen mir aufs Gemüt, das ist alles.« Santino richtete seinen Blick zurück auf den Spalt. »Weißt du einen Weg, wie wir hier herauskommen?«
    »Mein Gezeitenportal nach Aranquila ist noch funktionstüchtig«, sagte Umo. »Es pulsiert, statt dauerhaft ein Loch im Gewebe offen zu halten. Deshalb rollen die Schockwellen aus dem Spalt darüber hinweg, anstatt es zu zerstören.«
    »Aber wir müssen den richtigen Zeitpunkt abpassen?«
    »Genau. Es schwingt mit Ebbe und Flut.«
    »Und wann ist dieser Zeitpunkt?«
    Eine zweite Entladung irrlichterte über den Himmel, diesmal so gleißend, dass Santino für mehrere Sekunden das Nachleuchten unter den Lidern fortblinzeln musste.
    »Verflucht noch mal!«, entfuhr es dem Buchstabensammler. Und dann, nach einer Pause: »Morgen Mittag, wenn die Sonne im Zenit steht. Und ich habe so ein Gefühl, dass das eine knappe Sache werden könnte.« Ein Hauch Bedauern glitt über die ledrigen Züge. »Ich muss ein paar Dinge einpacken. Ich glaube nicht, dass ich zurückkommen kann.«
    »Das tut mir leid«, murmelte Santino.
    »Um Sarrakhans Liebe willen, spar dir dein Mitleid.« Umo schlug ihm auf die Schulter, überraschend kräftig. »Hilf mir lieber, ein paar Kisten zu tragen. Wir haben nicht viel Zeit.«

    Das elende Buch wog sicher zwanzig Pfund. Waren die Buchdeckel aus Blei gegossen, oder was? Kens Arme erlahmten schon nach wenigen Schritten und die Schmerzen in den Schultern wurden auch nicht kleiner. Verdammte Prügelei. Kampftraining, korrigierte er sich. Kampftraining, nicht Prügelei. Dir wird nichts geschenkt. Willst du was haben, musst du leiden.
    Himmel, er klang schon wie Dad. Auch wenn der außer Sprücheklopfen nichts zustande brachte. Es musste bald zwölf Jahre her sein, dass der Säufer sich die Hände mit Arbeit dreckig gemacht hatte. Aber das war ja die Schuld des Staates, oder der Kommunisten oder wer sonst gerade im Fadenkreuz seiner Säuferfreunde stand.
    Nein, mit Randall O’Neill verband ihn nichts. Vielleicht hatte er auch deshalb den launigen Kommentar des Buchstabensammlers zu Coinneach nicht einfach beiseitegewischt, sondern kroch hier bei Nacht und Nebel durchs Unterholz, einen Steinwurf entfernt von fünfzig blutrünstigen Bestien. Er wollte nicht, dass Randall sein Vater war. Er sehnte sich danach, dass es jemand anderen gab, zu dem er aufsehen konnte und der stolz auf ihn war, wenn er einen Test mit einer guten Note bestand, und nicht über nutzloses Bücherwissen spottete.
    Apropos Buch! Er verlagerte das Gewicht und presste es sich gegen den Bauch. Er wünschte, er hätte seinen Rucksack gehabt. Damit wäre es einfacher gewesen, den Ziegelbrocken zu schleppen. So wie jetzt konnte er das Buch unmöglich in die Festung transportieren. Klettern und gleichzeitig mit zwei Händen ein Stück Schwermetall festhalten, das funktionierte nicht. An der rostigen Garteneinzäunung blieb er stehen und zog sich das Sweatshirt über den Kopf. Zum Glück war es so warm, dass er in seinem kurzärmligen T-Shirt nicht fröstelte. Er knotete das Buch in den Pullover und band sich das Ding wie eine Gürteltasche um die Hüften, sodass es nun an seinem Rücken lag. Das Messer an seinem Gürtel nervte, weil es ihm bei jedem Schritt gegen den Oberschenkel schlug, aber er konnte sich nicht überwinden, es wegzuwerfen.
    Er trottete zurück zum Apfelgarten, durch Flieder und Brombeergestrüpp und an den Scharlachranken vorbei. Hin und wieder spähte er nach dem Narbengeflecht am Himmel. Die gewaltige Entladung vorhin hatte das ganze Haus ausgeleuchtet. Ihm kam es auch vor, als näherte sich das Heulen der Devora, diese tiefen, lang gezogenen Laute, die wie die Schiffshörner auf dem Detroit River klangen, wenn im Herbst dichter Nebel über dem Wasser hing.
    Coinneach stand auf der Mitte der Apfellichtung. Der Fayeí hatte seine schmutzige Indianerdecke abgeworfen. Darunter trug er ein ähnliches Shirt wie Santino, schmal geschnitten, mit kurzen Ärmeln und aus schwarz glänzendem Gewebe gemacht. Seine Zöpfe schimmerten bläulich im Mondlicht. Beim Näherkommen sah Ken das Schwert, das auf der Decke lag. Eine lange, emaillierte Scheide verhüllte die Klinge. Das Heft war mit Lederstreifen

Weitere Kostenlose Bücher