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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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sandige Gestein und setzte den ersten Schritt.

    »Was wirst du also tun?«, fragte Umo.
    Santino beugte sich weit übers Geländer. »Sie sind noch wütender als sonst«, murmelte er.
    »Sie spüren, dass ein Festmahl naht.« Der Buchstabensammler lehnte mit dem Rücken an der Brüstung. Das Mondlicht malte tiefe Schatten unter die Furchen in seinem Gesicht. »Was soll ich dem Mädchen sagen? Dass ihre Hochzeit eine Farce ist und nichts am Schicksal ihrer Welt ändern kann? Dass Eoghan besser anfängt, nach einer neuen Heimat für sein Volk Ausschau zu halten, wenn die Kjer in Plünderlaune kommen?«
    »Wenn du ihr das sagst, wird sie etwas Dummes und Trotziges tun. Wie zum Beispiel, sich in den Rabenfächer zu stürzen und das Portal hinter sich in die Luft zu jagen.«
    »Und das könnte sie, oder?« Umos Stimme bekam einen verträumten Klang. »Sie könnte so ein Tor sogar selbst errichten.«
    »Inzwischen wäre sie dazu wohl in der Lage.«
    »Sie ist außergewöhnlich. Eine überragende Torformerin.«
    »Aber es wäre besser für sie, wenn sie sich nicht mit Eoghan überwerfen und noch ein paar Jahre in der Sicherheit des Tíraphal reifen könnte.«
    »Bis die Kjer einfallen.«
    Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus.
    »Gibt es eine Möglichkeit, sie aufzuhalten?«
    »Kannst du ein Erdbeben aufhalten, oder einen Vulkanausbruch? Jaja, schon gut«, brummte der Buchstabensammler. »Wenn jemand ihren Imperator erschlagen könnte, dann würde das wohl die Feldzüge stoppen. Vorläufig. Dann hätten sie alle Hände voll zu tun, einen Bürgerkrieg abzuwenden.«
    »Wie hilfreich«, grollte Santino.
    »Die Risse wachsen natürlich weiter, solange nicht jemand einen Weg hinein findet und die Verschlingerinnen tötet …«
    Santino schnaubte. »Sind diese Kreaturen überhaupt sterblich?«
    »… oder dieser Jemand einen Bestienmeister der Kjer besticht, um sie zurück auf die Todesfelder zu locken. Was im Übrigen deutlich leichter sein dürfte, wenn das Imperium sich kopf- und führerlos in Aufruhr befindet.« Umo pflückte ein imaginäres Stäubchen von seinem Poncho. »Aber das sind schöne Träume, nicht wahr? Niemand spaziert mehr unbemerkt in den Imperialen Palast und vergießt königliches Blut. Was soll ich ihr sagen, mein Junge?«
    »Sag ihr …« Santino hieb mit der Faust auf die Brüstung. »Verflucht, ich brauche mehr Zeit. Sag ihr, sie muss sich vorläufig fügen. Doch dass es nicht für immer ist.«
    »Du glaubst doch selbst nicht, dass das funktioniert.«
    Er stöhnte. »Nein, sie wird wahrscheinlich mit Ken durchbrennen. Oder vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht. Sie ist nicht ohne Pflichtbewusstsein.«
    »Du musst es Eoghan sagen. Wenn du seit zehn Jahren sein Vertrauen und seine Gastfreundschaft genießt, dann wird er dir zuhören. Vielleicht glaubt er dir sogar.«
    »Und was genau soll ich ihm sagen?«
    »Dass er ein Refugium für sein Volk suchen muss. Falls es zum Schlimmsten kommt.«

    Auf dem letzten Stück verwandelte die Kletterei sich in ein mühsames Tasten, weil Fels sich mit Erdreich vermischte und ganze Brocken aus der Wand herausbrachen, sobald Ken sein Gewicht daraufstützte. Das Geheul der Spalthunde war kaum noch zu hören. Die halbe Meile Entfernung und die Bäume entlang der Dalzelle Street verschluckten ihr Jaulen. Auf Höhe der Kreuzung mit der Vermont Street lagen Autowracks auf der Straße. Es herrschte Totenstille. Keine Bewegung störte die nächtlichen Schatten. Trotzdem schlich er so vorsichtig wie möglich zum Haus. Er huschte von Baum zu Baum, blieb immer wieder stehen, um zu lauschen, und vermied es, freies Gelände zu überqueren.
    Mondlicht verwandelte das Gebäude in ein Spukanwesen, mit dem Baum, der durchs Dach ragte. Er glitt an den Mauerresten vorbei und schlüpfte durch Brombeerhecken und Fliedergestrüpp ins verwilderte Nachbargrundstück. Er wich den Scharlachranken mit ihren hungrig vibrierenden Blüten aus. Über dem Boden hing ein feiner Nebel. Die Luft kondensierte feucht auf seiner Haut.
    »Coinneach!«, rief er halblaut. »Coinneach, bist du da?«
    Keine Antwort, nur leises Knacken und ein Rascheln in den Baumkronen, wie von einem Vogel, der aus dem Schlaf geschreckt worden war.
    Er stieg den Hügel hinauf. Das Gras reichte ihm bis über die Knie und durchfeuchtete ihm die Jeans. Nicht, dass es eine Rolle spielte. Nach der Klettertour durch die Erdspalte waren seine Klamotten sowieso mit Staub und Erde verschmiert.
    »Coinneach?«
    Der Mond stand als

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