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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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volle Silberscheibe am Himmel und überstrahlte sogar das grüne Leuchten der Risse. Sein Licht meißelte tiefblaue Schatten und scharfe Konturen, die selbst der Nebel nicht mildern konnte.
    »Hey, Mann, bist du da?« Womöglich hatte der Kerl sich längst aus dem Staub gemacht. Das fehlte noch, dass er die ganze Mühe des Abstiegs auf sich genommen hatte, nur um festzustellen, dass der blonde Penner ausgeflogen war. »Coinneach?!«
    Wie kam er überhaupt darauf, dass Coinneach sich Tag und Nacht auf dieser Lichtung herumdrückte? Vielleicht war es Zufall gewesen, dass er ihn ausgerechnet hier getroffen hatte. Vielleicht kam er nur ab und zu an Dienstagnachmittagen hier vorbei.
    »Mist.« Er blieb stehen und starrte den umgestürzten Baum an, auf dem der Typ gesessen hatte.
    Ein Geräusch ließ ihn herumfahren. Ein Ast krachte unter einem Stiefel entzwei. Eine groß gewachsene Gestalt löste sich aus dem Unterholz, Indianerdecke um die Schultern, weißblondes Haar. Dieses Mal hing es ihm nicht offen auf die Schultern, sondern war zu zwei Zöpfen geflochten.
    »Verdammt noch mal«, Ken stieß den Atem aus, »du hast mich erschreckt.«
    Coinneach warf ihm einen Apfel zu, beförderte einen zweiten aus den Falten seiner Decke hervor und biss hinein. Er summte eine Melodie und hielt nur inne, um den Rest der Frucht zu verspeisen.
    »Tja, wie geht’s so? Hast du schon gefunden, wonach du suchst?« Was für eine bescheuerte Eröffnung für eine Vater-Sohn-Konversation. Peinlich berührt von sich selbst verstummte Ken und stopfte den Apfel in die Tasche seines Sweatshirts. Er hatte sich vorgenommen, cool zu bleiben, und jetzt starb er fast vor Nervosität. Gleichzeitig kam er sich vor wie ein Volltrottel, weil Coinneach ihn weder ansah, noch sich die Mühe machte, ihm zu antworten. Der Kerl spazierte einfach über die Lichtung wie ein Schlafwandler und tat, als wäre Ken Luft. Okay, bis auf den geschenkten Apfel. »Machst du dir keine Sorgen wegen dieser Hunde in der Nachbarschaft? Ich meine, die jagen Menschen. Mit denen ist nicht zu spaßen. Wollte ich nur erwähnt haben. Also, falls du sie noch nicht gesehen hast, du solltest wirklich …«
    Er brach mitten im Satz ab, weil Coinneach sich schließlich doch umdrehte und seinem Blick begegnete. Erst jetzt fiel ihm auf, dass die Jeans des Fayeí mit Blut bespritzt war, und Teile der Decke ebenfalls.
    »Bist du verletzt?«
    Coinneach schüttelte den Kopf und summte seine Melodie vor sich hin. Die Tonfolge kam Ken vage bekannt vor, doch ihm fiel nicht ein, was es war.
    »Hör mal, es gibt da etwas, das ich dich fragen muss.«
    Oh Mann, was hatte ihn geritten, hierherzukommen? Er wusste doch längst, dass der Kerl einen Dachschaden hatte. Was sollte er jetzt sagen?
Hör mal, wo du doch mein Vater bist, wann hattest du eigentlich vor, mit der Unterhaltskohle rüberzukommen?
    Er knetete seine Finger und fragte sich, warum nicht ein Mal, nicht ein einziges Mal in seinem Leben etwas einfach sein konnte.
    »Hör mal«, setzte er neu an, »dieser Buchstabensammler behauptet, du wärst mein Vater.«
    Coinneach summte unbeeindruckt seine Melodie.
    »Stimmt das? Ich meine, hast du mit meiner Mutter mal …?« Entnervt stieß er den Atem aus. »Oh verflucht, interessiert dich das überhaupt? Hast du mir zugehört? Ich bin dein verlorener Sohn, okay? Willst du jetzt mit mir reden oder nicht?« Die letzten Sätze formte er mit wachsender Rage. Er konnte das genauso gut dem Apfelbaum erzählen oder dem toten Fisch, den Nessa allmorgendlich zum Frühstück verspeiste. Es machte keinen Unterschied.
    »Vergiss es.« Er wandte sich ab. »Ist mir auch egal. Sing dein blödes Lied und mach, was du willst.«
    Natürlich erwiderte Coinneach nichts. Er summte einfach weiter.
    Enttäuschung schnürte Ken die Kehle zusammen. Er drehte sich um und stapfte den gleichen Weg über die Lichtung zurück, den er gekommen war, langsam und steifbeinig und mit einem Klumpen im Magen, der sich von Stein zu Blei verwandelte. Coinneachs Summen war das Spottlied, das die Demütigung seines Abgangs vollkommen machte.
    »Ich kann sie nicht finden«, sagte der Fayeí, gerade als Ken den Rand des Hügels erreicht hatte. »Ich suche und suche und kann sie nicht finden.«
    Ken drehte sich um. Spielte der Typ mit ihm, oder was? Ein geisterhaftes Lächeln flackerte über Coinneachs Züge. »Ich habe überall gesucht. Ich weiß nicht, wohin ich noch gehen soll.«
    Eine Eingebung blitzte in Kens Geist auf, eine Idee. »Du

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