Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
Vom Netzwerk:
Leutnant antwortete nicht. Marielle verspürte vagen Triumph, als Zweifel in die juwelenfarbenen Augen trat.
    »Mein Bruder ist wie ein Geist ohne eigenen Willen, der widerrechtlich den Thron der Tuatha Avalâín okkupiert. Eine Marionette, deren Fäden Maebh in der Hand hält. Wollt Ihr seinen Anspruch stützen und Euch gegen mich stellen und Euer Leben und das von Hunderten Unschuldiger für Maebhs verrückte Herrschaftsträume opfern? Oder folgt Ihr lieber mir?«
    Unter den Männern erhob sich ein Murmeln und Getuschel und brandete auf wie ein Sturm.
    »Ihr seid es wirklich«, stammelte der Leutnant. »Sarrakhan sei gepriesen. Ihr werdet diesem Wahnsinn ein Ende bereiten.«

    Mit jedem Schritt verstärkte sich in Ken das Gefühl, durch einen Traum zu wandeln. Er spürte das Prickeln in den Fingerspitzen, das ihn in Dämmer-Detroit die ganze Zeit begleitet hatte. Vorsichtig tastete er ins Gewebe. Weich und nachgiebig floss es ihm um die Finger. Seine Magie war zurückgekehrt. Die richtige Magie, und sie fühlte sich gut an.
    Die spiegelnden, blütenverzierten Wände von Marielles Palast erhoben sich wie luftige Traumgespinste. Nie zuvor hatte er solche Pracht und eine so verschwenderische Fülle an Details gesehen. Es gab keine einzige Fläche, die nicht bedeckt war von Reliefs, von silbergetriebenen Blättchen, von fein gezeichneten Ornamenten. In den Linien glitzerte Sonnenlicht. Die Korridore waren breit wie Straßen, die Wände von Fensterbögen durchbrochen. Dahinter erstreckten sich Wasserterrassen und die Weiten eines nebelverhangenen Sees. Am Himmel zuckte grünlich die Narbe, doch sie war schmaler als die in Dämmer-Detroit und verzweigte sich nicht.
    Der Boden unter ihren Füßen bestand aus Perlmutt mit scharlachroten Mustern und war so blank poliert, dass er sich darin spiegeln konnte. So prachtvoll wie der Tíraphal war, so fremdartig schön erschien ihm die Kleidung seiner Bewohner. Die Krieger, die sich nach Coinneachs kleiner Ansprache von Feinden zu Freunden gewandelt hatten, trugen Brustpanzer und Beinschützer aus weiß lackiertem Metall, die Stiefel und ihre Handschuhe waren aus einem dunkleren Leder. Auf den Rüstteilen schimmerten geätzte Muster, Blüten und Linienkämme und ineinandergezogene Kreise. Ihre Mäntel, ebenfalls weiß, waren mit komplizierten Siegeln bestickt.
    Doch die Pracht hatte Kratzer bekommen. Viele der Mäntel waren zerrissen, beschmutzt, mit Blut befleckt. Der Brustpanzer des Leutnants beulte sich unter einer langen Schramme nach innen.
    Coinneach lief neben ihm an der Spitze des Trupps.
    Ken hielt noch immer Marielles Hand umfasst. Ihre Berührung wirkte wie ein Anker in die Realität. Ihre Wärme beruhigte ihn und half ihm, klar zu denken. Der ganze Unsinn mit Thronfolgediskussionen und königlicher Herkunft machte ihn schwindlig. Damit wollte er nichts zu tun haben. Das einzig Gute daran war, dass er Santino vielleicht doch ab und zu in den Tíraphal zu Empfängen begleiten durfte, statt im Labor die Treppe zu wischen, oder was immer seine Lehrlingspflichten sein mochten, und dass niemand versuchen würde, ihm Marielle wieder wegzunehmen.
    Er drehte den Kopf auf der Suche nach dem Magier.
    Santino hatte sich ganz ans Ende der Gruppe fallen lassen und stieß den gefangenen Assassinen vor sich her. Der Kerl sah aus, als wäre er mit Pats Gangsterbande zusammengestoßen. Ein Auge schwoll ihm langsam zu. Auf der Stirn trocknete Blut auf einem breiten Kratzer. Die Augen hatten einen stumpfen Ausdruck von Gleichgültigkeit angenommen. Coinneach hatte dem Mann eine Begnadigung versprochen, wenn er vor Zeugen zugab, dass Maebh persönlich ihn beauftragt hatte, ihren erstgeborenen Sohn und dessen Kind zu ermorden.
    Durch Tore mit durchbrochenen Ziergittern, die aussahen wie aus Elfenbein geschnitzt, traten sie in einen Garten. Rote und orangefarbene Rosen wucherten an Spalieren empor. Goldlack säumte die Wege und türkisfarbene Mohnblüten, wie er sie nie zuvor gesehen hatte. Kornblumen wiegten sich in der bunten Pracht, Zinnien und karmesinrote Azaleen. Ein trügerisches Paradies. Den hellen Sand befleckte Blut, und eines der Beete war zerdrückt von den Körpern zweier toter Krieger.
    Sie durchquerten offene Pavillons, verließen den Garten, folgten einer Flucht endloser Korridore. Zweimal begegneten sie Gruppen von Soldaten, doch beide Male gelang es Coinneach, sie zu beschwichtigen. Eine der Gruppen schloss sich ihnen sogar an.
    Als sie in einen Park voll moosbehangener

Weitere Kostenlose Bücher