Purpurdämmern (German Edition)
Féach, der am Boden saß, von zwei Wachen flankiert, die Hände auf den Rücken gefesselt. Der Anblick schürte ihren Zorn nur noch mehr. Was hatte der alte Gelehrte ihnen getan, dass sie ihn so behandelten? Es kostete sie alle Beherrschung, nicht sofort durch die Reihen zu stürmen und mit den Fingernägeln und ihrem kleinen Dolch auf Ceallacháin und Felím loszugehen. Doch sie waren diesem Sturmtrupp hoffnungslos unterlegen, und sie hatten vor ihrem Aufbruch im Depot einen Plan besprochen. Einen guten Plan. Es nützte keinem, wenn sie jetzt mit einem Wutausbruch alles ruinierte.
»Was habt Ihr hier zu schaffen?«, fragte Ceallacháin. »Solltet Ihr nicht die Gemächer der Prinzessin bewachen?«
»Das ist nicht länger nötig«, antwortete Coinneach anstelle des Leutnants. Er gestikulierte, und eine Gasse öffnete sich. Die Soldaten traten beiseite, sodass plötzlich kein Rücken mehr blieb, hinter dem Marielle sich verstecken konnte. Sie klammerte sich so sehr an ihrer Wut fest, wie an Kens Hand. Die Wut half ihr, ihre Angst zu unterdrücken. »Die Prinzessin ist hier.«
»Oh. Wie überaus erfreulich.« Wenn er lächelte, sah Ceallacháin mit seinen scharf geschnittenen Zügen wie ein Raubfisch aus. Seine kobaltblauen Augen hielten ihren Blick fest. »Marielle, wir waren in Sorge um Euch. Ihr müsst wirklich damit aufhören, einfach zu verschwinden, ohne jemandem Bescheid zu geben.«
Felím versuchte, ihm etwas zuzuflüstern, doch unwillig schüttelte Ceallacháin den Kopf.
»Und was genau tut Ihr hier, Ratsherr Ceallacháin?« Wie schwer es ihr fiel, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten.
»Ich zwinge Euren Vater, ein Dekret des Hohen Rats anzuerkennen.«
»Ein Dekret, das es erforderlich macht, die Türen zum Thronsaal einzuschlagen?«
»Ein Dekret, das Eoghan auffordert, die Krone auf Euch zu übertragen …« Er neigte den Kopf in einer Verbeugung, die so knapp ausfiel, dass sie eine Beleidigung darstellte. Die Drohung in seinem Tonfall war unüberhörbar. »… und das Euch unter meine Vormundschaft und die meiner Gemahlin stellt, bis Ihr gereift seid, um selbstständig Regierungsentscheidungen treffen zu können.«
Und wenn du dich nicht fügst, wirst du es bereuen.
Das war es, was eigentlich in seinen Worten mitschwang. Ken spannte sich fühlbar an. Sie drückte seine Hand. Hoffentlich verlor er nicht vor ihr die Nerven.
»Ah.« Sie hoffte nur, dass Nessa endlich auftauchte. Doch die Purpurkatze war weit und breit nicht zu sehen. »Und was sagt mein Vater dazu?«
»Der Feigling verbarrikadiert sich hinter diesen Türen.«
»Er ist kein Feigling!«, fuhr sie ihn an.
»Darf man erfahren, aus welchem Grund Euer Rat eine so schwerwiegende Entscheidung fällt?« Träge und entspannt fielen Coinneachs Worte in die Anspannung zwischen ihnen.
»Wer seid Ihr überhaupt?«, fragte der Ratsherr.
»Coinneach ap Morda, erstgeborener Sohn von Diarmudh und Maebh, Kronprinz und Thronerbe der Tuatha Avalâín, zu Euren Diensten.«
Ceallacháin starrte ihn an, als hätte er gerade etwas ungeheuer Schwachsinniges gesagt.
»Es ist die Wahrheit«, bestätigte der Leutnant. »Seht das Schwert an, das er führt. Einem Geringeren würde es nicht gehorchen.«
Das Raunen klang in den Reihen der Belagerer auf und schwoll zu einem Sturm an. Felím fuhr herum. »Schweigt!«, brüllte er. »Das ist ein Befehl!« Er packte einen Offizier am Mantel, der neben ihm stand. »Bring sie zur Vernunft, hörst du?«
In einer schleifenden, seidenglatten Bewegung zog Coinneach das Schwert. Licht fing sich in den Gravuren. Er streckte beide Arme aus und hob es über seinen Kopf. »Hört mir zu!« Seine Stimme trug weit und volltönend, wie Marielle es ihm nie zugetraut hätte. Noch eine Gemeinsamkeit, die Vater und Sohn verband. Auch unter Kens ruhiger Gelassenheit verbargen sich Abgründe.
»Hört mir zu, Freunde!«
Die Stimmen verstummten, eine nach der anderen.
Ceallacháin war blass geworden, die Lippen ein schmaler Strich. In seinen Augen stand Schock.
»Was ihr hier tut, ist Unrecht«, sagte Coinneach. »Unrecht, das ein falscher Herrscher Euch zu tun befahl. Aedan regiert nicht länger über die Tuatha Avalâín. Ich fordere die Krone von meinem jüngeren Bruder zurück, und mein erster Befehl lautet, diesen Angriff zu beenden. Oder glaubt Ihr wirklich, wir könnten in Freundschaft mit einem Volk leben, dessen König wir zuvor gemeuchelt haben?«
»Falsch«, zischte Ceallacháin. »Eoghan hat sein Recht auf die Krone
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