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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Bäume hinaustraten, zwischen deren Wurzeln Adonisröschen blühten, beugte Ken seinen Kopf zu Marielle hinab. »Sag mal, wie groß ist dieser Tíraphal? Ich meine, es ist doch nicht normal, dass du eine halbe Stunde unterwegs bist, wenn du deinem Dad Bescheid sagen willst, dass du abends später nach Hause kommst?«
    Sie kicherte. »Dafür gibt es Boten.«
    »Boten?« Er machte einen großen Schritt über eine Wurzel hinweg. »Habt ihr kein Telefon?«
    »Elektrizität funktioniert nicht besonders gut in Níval. Außerdem sind wir«, sie verdrehte die Augen, »sehr traditionell. Das wirst du noch merken.«
    Sie tauchten in einen weiteren pompösen Gang mit offenen Bögen, dessen Säulen und Fußböden aus weißem und sandfarbenem Alabaster gemeißelt waren. Auf Schulterhöhe säumte ein Bildfries die Innenwand, das Silber in den Vertiefungen war schwarz angelaufen.
    Bis auf ein paar verängstigte Bedienstete trafen sie keinen Menschen. Die Gewölbe standen gespenstisch leer. Ihre Schritte hallten wie in einem gigantischen Mausoleum, als sie den Alabastergang hinuntereilten.
    »Wo sind alle?«, flüsterte Ken.
    »Sie haben sich versteckt, oder sind geflohen.« In Marielles Blick flackerte das gleiche Unbehagen, das er selbst verspürte. »Ein paar sind vielleicht tot.«
    Er dachte an die Leichen im Rosengarten und schauderte.
    Die scheinbare Friedfertigkeit täuschte. Ein Stück weiter entdeckte er einen Mann, der an einen Pfeiler gelehnt saß. Zwei Frauen standen über ihn gebeugt, die beim Anblick ihres Kriegstrupps zu schreien begannen und den Korridor hinunter flohen, um schließlich in einem Durchgang zu verschwinden. Dann sah er auch die Blutlache neben dem Mann. Der Verwundete starrte mit leeren Augen zu ihnen hoch, als sie an ihm vorbeiliefen.
    Unwillkürlich verlangsamte er seine Schritte. »Jemand muss ihm helfen.«
    Marielle ruckte an seiner Hand. »Wenn wir nicht schnell sind, gibt es bald noch viel mehr Verletzte. Die Dienerinnen werden zurückkehren, sobald wir außer Sichtweite sind.«
    Sie bogen nach links in eine weit geschwungene Galerie. Lebensgroße Statuen säumten die Wände. Teppiche dämpften die Geräusche der Stiefel, dick und purpurrot, mit silberverbrämten Kanten. Weit vor ihnen flammte neuer Lärm in die Stille. Rufe, das Klirren von Waffen. Dumpfe Schläge erschütterten die Luft.
    »Wir sind gleich da«, wisperte Marielle. »Da vorn ist der Thronsaal.«

    Die Doppeltüren zum Thronsaal bestanden aus schwarzen Granitplatten, so dick wie die gesamte Länge von Marielles Unterarm, und waren mit getriebenem Silber beschlagen. Erleichterung rann ihr den Nacken herunter, als sie sah, dass die Torflügel zwar an der Oberfläche zerkratzt waren, doch den Angriffen von Licht-Fayeí und Ceallacháins Kriegern standgehalten hatten.
    Sarrakhans Licht, sie waren gerade noch rechtzeitig gekommen.
    Vor dem Portal hatte sich ein kleines Heerlager gebildet. Es mussten bald zweihundert Soldaten sein, die sich dort zusammenrotteten. Auf dem Boden türmten sich Schuttreste. Ein Dutzend Männer mühte sich, mit einer zum Rammbock umfunktionierten Säule die Türen einzuschlagen.
    »Achtung!«, brüllte eine der Wachen.
    Coinneach hob die Hand. Ihr eigener Trupp kam zum Stehen. »Wer hat hier das Kommando?«
    Das Krachen der Ramme verstummte. In der Luft hing so viel Staub, dass Marielle Mühe hatte, einen Hustenreiz zu unterdrücken. Sie reckte sich, um sehen zu können, was dort vorn vor sich ging. Durch die Menge der Gardisten glitt eine schwarz gekleidete Gestalt. Graf Felím, wer sonst. Sein Anblick schürte sofort wieder ihre Wut. Dieser hinterlistige Intrigant mit seinem spöttischen Lächeln und seiner Geheimnistuerei. Natürlich steckte er mit den Aufrührern unter einer Decke. Wahrscheinlich hatte er schon lange vor der Entstehung des Risses mit Emporkömmlingen wie Ceallacháin konspiriert, Sprösslingen der Ersten Familien, die nach mehr Macht gierten. Hatte die tief verwurzelte Sehnsucht traditionsverliebter Nebel-Fayeí ausgenutzt, sich mit ihren sonnenhaarigen Brüdern auszusöhnen und das vor so vielen Jahrtausenden gespaltene Volk wieder zusammenzuführen.
    »Und wer –« Felím verstummte so abrupt, wie er seine Stimme erhoben hatte. Für einen Herzschlag hing Stille in der Luft.
    Ein zweiter Mann drängte sich nach vorn, groß gewachsen, perlmuttfarbenes Haar. Ceallacháin. Durch die Lücke, die für einen Moment aufklaffte, erspähte sie noch ein anderes vertrautes Gesicht. Magister

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