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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Das Tor hatte funktioniert.
    Als seine Sicht sich klärte, sah er, dass er in einer Höhle mit unbehauenen Felswänden stand. Rinnsale liefen über den Stein. Das Rauschen von tausend Tropfen erfüllte die Luft. Sarrakhans heilige Asche, wo war er gelandet? Er machte ein paar Schritte, vorsichtig, bis er sichergehen konnte, dass sich unter dem Wasserspiegel, der ihm bis zu den Fußknöcheln reichte, solider Stein befand. Mit der rechten, behandschuhten Hand zog er das Schwert. Es war eine einfache, mäßig ausbalancierte Waffe mit der versilberten Schwalbe des Königs unter dem Heft. Er vermisste seine eigene Klinge, die in seinem Haus im Karmesin-Viertel auf dem Küchentisch lag, zusammen mit dem Mantel und der Pistole. Doch die Gardewaffe erfüllte ihren Zweck, und er war froh, dass er wenigstens die bei sich trug. Felím würde ihn kaum freudig willkommen heißen. Und wer wusste schon, was sich sonst noch in diesen Gewölben herumtrieb?
    Die Höhle war groß und so hoch wie vier Männer. Durch einen Spalt in der Decke fiel Licht herein. Efeu wuchs auf der ganzen Länge und verhinderte, dass er einen Blick auf das erhaschen konnte, was oberhalb der Höhle lag. Das Rauschen des Wassers übertönte alle anderen Geräusche, sogar die seiner eigenen Schritte.
    Santino watete durch das Gewässer, bis sich nach gut hundert Metern die Höhle verengte. Bald konnte er die Wände auf beiden Seiten mit den ausgestreckten Händen berühren. In den Schrunden wucherten silbrige Moosbärte und ein Farn, dessen Blätter an den Spitzen in winzige gelbe Blüten mündeten. Gelegentlich scheuchte er Eidechsen auf, die höher hinauf zwischen das Efeugestrüpp flüchteten. Die dämmrige Schönheit der Höhlen berührte etwas in ihm, und ohne die Anspannung in seinem Innern hätte er die Erkundung genossen. Dort, wo Licht durch die Deckenspalten drang, wippten Libellen auf und nieder. Einmal schoss ein Schwarm Kolibris so dicht an ihm vorbei, dass er zusammenzuckte. Ihr Pfeifen verhallte in der Ferne und ließ ihn mit dem Tröpfeln und Rauschen des Wassers allein.
    Die Kluft weitete sich wieder, die Pfützen auf dem Boden wurden kleiner, bis nur noch feuchter Stein unter seinen Füßen blieb. Verwitterte Stufen führten nach unten, von tausend Jahren Nässe und Salz zerfressen.
    Hinter der nächsten Biegung begriff er schlagartig, wo er sich befand. Vor ihm öffnete sich ein Felsendom, der Boden war mit Löchern durchsetzt. Einige waren nicht größer als Brunnenschächte, andere so ausladend wie Fischteiche. Aus denen, die von der Sonne beschienen wurden, stieg Dampf auf. Feuchtigkeit und ein schwerer, moschusartiger Geruch sättigten die Luft. Ein weiteres intensives Aroma schwang darin, das er nicht zuordnen konnte, und das er selbst in den Kräuterapotheken nie gerochen hatte. Der Duft lullte ihn ein, benebelte ihm die Sinne. Er musste sich zwingen, nicht zu vergessen, warum er eigentlich hierhergekommen war. Ein ferner Teil seines Geistes begriff, was es war, was es sein musste, denn es hing mit diesem Ort zusammen, an den er geraten war.
    Glastraumnebel nannten sie die Pflanze in Tír na Mórí. Er hatte davon gehört, doch ihre Dämpfe nie selbst gerochen, da Fremden der Zugang zu den Glasgärten verboten war.
    Die Bilder in seinem Kopf drängten sich so dicht und schwer, dass er vor dem Ansturm beinahe in die Knie ging.
    »Rhonda«, ächzte er. Bilder von duftenden Gliedern und seidigem pflaumenfarbenem Haar, das seine Haut streichelte. Den Klang ihrer Stimme, wie Glasglocken aus den tiefsten Klüften des Rabenfächers. Ihre Augen, zwei dunkle Smaragde, in denen ein Feuer brannte, das ihn nicht wärmte, sondern verzehrte.
    Ein scharfer Schmerz brachte ihn zur Besinnung, als er im Sturz mit dem verletzten Knie den Boden berührte und sich ihm ein scharfkantiges Stück Fels in die kaum verheilte Wunde bohrte. Hastig zerrte er sich das Shirt über den Kopf und schlang sich den blutbefleckten Lumpen um Nase und Mund. Erst dann griff er nach dem Schwert, das ihm entglitten war. Mit zitternden Gliedern stand er auf.
    Die Glasgärten.
    Oh ja, er hatte gehört, dass in den Katakomben unterhalb dieser Gärten ganze Felder der Glastraumnebelpflanze wucherten, deren Blätter sich bei der Berührung mit Sonnenlicht sofort zu berauschenden Dämpfen zersetzten. Sie konnten einen Menschen in süßen, traumreichen Schlaf versetzen, aus dem er nie mehr erwachte. Dort, wo das Licht in die Löcher herabschien, streifte es die Pflanzen und erzeugte

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