Purpurdämmern (German Edition)
sie jämmerlich fror. Die Luft hatte sich abgekühlt und das Silbergewebe des Kleides schnitt ihr in die Schultern. Sie musste raus aus diesem Ding.
Erschöpft und innerlich ausgelaugt drehte sie sich von der Brüstung fort und schlich den beleuchteten Weg hinunter zum Labyrinthgarten, in dem sie schon vor Jahren ein Tor errichtet hatte, direkt in ihr Schlafzimmer. Ein Tor, das niemand ohne ihre Erlaubnis öffnen konnte, denn der Schlüssel war ein Tropfen ihres eigenen Blutes.
Mit einer Haarnadel stach sie sich in den kleinen Finger, während sie in den Laubengang eintauchte. Die Rosen begannen gerade zu blühen. Blumenduft streifte ihre Nase. Vor ihr raschelte es, Schritte knirschten auf dem Kies. Überrascht blieb sie stehen. Dieser Dachgarten war der königlichen Familie und ein paar hochrangigen Gästen vorbehalten, was ihn zu einer ruhigen Oase machte. Und von dem Tor wusste niemand.
Einen Herzschlag später tauchte ein junger Mann in der Rotunde auf, dessen Sonnenhaar selbst im Dunkeln noch strahlte wie die Mondscheibe in klaren Nächten. Als er sie bemerkte, war er ebenso überrascht wie sie selbst.
»Ihr!«, platzte Marielle heraus. »Prinz Newan! Was macht Ihr denn hier?«
»Ich –« Sichtlich verschüchtert, rang er nach Worten. »Eure Garde hat mich hier hinaufgebracht. Sie sagten, es wäre sicher, bis der Tumult sich gelegt hat.«
»Ist sonst noch jemand mit Euch gekommen?«
»Ein paar meiner eigenen Wachen. Sie stehen vorn an der Treppe und bewachen den Zugang.« Er stutzte. »Und wie seid Ihr hierhergelangt?«
»Ich wohne hier!«, platzte sie heraus, als wäre das Erklärung genug. Was für eine befremdliche Situation. Nie zuvor hatte man sie allein mit Newan in einem Raum gelassen. Nicht, dass sie auf diese Art von Privatsphäre besonders scharf war. Tatsächlich wäre sie am liebsten geflohen, aber konnte schlecht vor Newans Nase das Portal in ihr Schlafzimmer öffnen. Womöglich würde er es als Einladung missverstehen. Verstohlen wischte sie den Blutstropfen an der Vierzig-Pfund-Robe ab.
»Habt Ihr den Spalt gesehen?«, fragte der Prinz.
Er sah so furchtbar jung aus und neigte unübersehbar zur Fettleibigkeit. Fast tat er ihr leid. Wer weiß, ob sich seine Hofschranzen nicht hinter seinem Rücken über ihn lustig machten.
»Er kann einem Angst einjagen«, gab sie zurück. »Sah Euer Spalt genauso aus?«
»Er war nicht so groß. Und die Erde hat nicht gebebt, als er sich geöffnet hat.«
»Verschwand er wieder?«
»Ich weiß nicht. Wir sind weitergesegelt und haben ihn hinter uns gelassen. Vielleicht ist er noch da.«
Miau,
maunzte Nessa in ihrem Kopf.
Marielle fuhr herum.
»Nessa?«, fragte sie in die Dunkelheit.
»Ähm«, Newan räusperte sich, »alles in Ordnung?«
»Ich suche meine Katze.«
»Meint Ihr die da?« Er deutete zum Blattwerk über ihren Köpfen, aus dem sich mit Getöse ein hellbraunes Fellknäuel löste.
Er ist nicht so einfältig, wie er aussieht. Wir könnten glatt Freunde werden.
Etwas weniger elegant als sonst landete Nessa auf allen vieren.
Das Schweigen zog sich in die Länge. Dann sagte Newan mit flacher Stimme: »Ihr wollt mich gar nicht, habe ich recht?«
Blut schoss ihr ins Gesicht. Ein Glück, dass es so dunkel war. »Wir kennen uns ja noch gar nicht«, stammelte sie. »Ich meine, das kam alles ziemlich überraschend und –«
»Bemüht Euch nicht«, unterbrach er sie. »Ich sehe vielleicht aus wie schlecht aufgegangener Hefeteig, aber ich bin nicht dumm.«
Sage ich doch,
bekräftigte Nessa.
»Nein«, bekräftigte Marielle, »Ihr seht überhaupt nicht aus wie schlecht aufgegangener –«
Bemüh dich nicht.
Nessa umschmeichelte hinterlistig ihre Fußknöchel. Der Saum der Robe hing hoch genug, dass sie gerade so darunter hindurchpasste.
Er weiß ganz genau, was du von ihm hältst.
»Falls es Euch interessiert«, fügte Newan hinzu, »ich habe auch nicht darum gebeten, nach Tír na Mórí geschickt zu werden.«
Ihr wurde noch heißer, während sie daran dachte, wie schnippisch sie ihn bei den Audienzen abgekanzelt hatte. Bisher war sie noch gar nicht auf die Idee gekommen, dass er vielleicht ebenso in diese Ehe gezwungen wurde, wie sie selbst.
»Mein Volk, die Tuatha Avalâín, sind sehr traditionsbewusst.« Er betonte das Wort auf merkwürdige Weise. »Immer darauf bedacht, die Blutlinie nicht zu verwässern. Für einen Licht-Fayeí ist es undenkbar, einen Geringblütigen zu berühren. Natürlich gibt es Affären. Doch wenn sie herauskommen,
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