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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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zwischen den Säulen spannte sich wie ein Laken, doch teilte sich widerspruchslos, als sie ihre Hände hineintauchte. Sie schob ihn zur Seite und drückte ihn an den Grenzen des Tores fest. Die Kunst bestand darin, das Gewebe nicht zu zerreißen, sondern nur so weit zu dehnen, dass es dünn genug wurde, um einen Körper hindurchzulassen. Und natürlich waren es nicht wirklich ihre Hände, die die Formung vollzogen, sondern ihr Wille. Der physische Akt half nur, den Geist zu fokussieren. Sie konzentrierte sich auf eine große Perle am Ärmel ihres Kleides und bestimmte sie zum Anker, um den sie die Fäden des Äthers schlang. Ihr Schlüssel.
    Sie spürte einen leichten Metallgeschmack auf der Zunge, wie immer, wenn sich ein Tor manifestierte, und eine Abkühlung der Luft. Wunderbar.
    Nessa blieb verschwunden, aber sie hoffte, dass die Purpurkatze einen anderen Weg hinaus gefunden hatte. Wahrscheinlich hockte sie längst unten an den Lieferantendocks und tat sich an Fischresten gütlich.
    »Ich gehe durchs Tor!«, rief sie dem Offizier zu. »Ihr braucht nicht mitzukommen.«
    Ein Ausdruck der Verwirrung trat auf sein Gesicht. Er konnte das Portal ja nicht sehen. Woher sollte er wissen, dass sie gerade eines geformt hatte? Die öffentlichen Tore in Níval, die nicht einmal in andere Welten, sondern nur an Orte auf der anderen Seite der Stadt führten, waren dauerhaft verankerte, mit Siegeln gekennzeichnete Bauwerke. Dass man ein Tor einfach so, ohne weitere Vorbereitung aufspannen konnte, wussten die wenigsten Fayeí.
    Mit einem beherzten Schritt trat sie zwischen den beiden Säulen hindurch und blieb noch mit ihrem Kleid hängen, bevor der Sog sie erfasste und auf die andere Seite zog.
    Schlagartig wurde es dunkel. Sie stolperte und schlug sich das Knie an. Eine Windböe strich ihr über die nackten Schultern und ließ sie erschauern. Frische Luft! Sie hörte das Rauschen der Wasserfälle, das in klaren Nächten viel weiter trug als tagsüber, und Blätter, die im Wind raschelten. Obwohl ihr immer noch mulmig war, brach die Erleichterung sich in einem kleinen Lachen Bahn.
    Sarrakhan, sie war draußen! Im Dachgarten, eine Etage über dem Kristallsaal. Sie richtete sich auf und drehte sich um.
    Und erstarrte.
    Vor ihr spaltete ein gigantischer, gelblich schimmernder Riss den Nachthimmel, eine klaffende Wunde in der Realität.

    Das Verhör war gar nicht so schlimm gewesen. Viel schlimmer war der giftige Blick von Mrs Prescott, als Ken an ihr vorbeimusste, um das Büro zu verlassen.
    Ich will dich nicht an meiner Schule, sagte dieser Blick. Du bist Abschaum. Komm, gib mir einen Grund, dich vor die Tür zu setzen. Zum Glück waren es nur noch fünf Monate, die er durchhalten musste. Fünf Monate, in denen er der Prescott keinen Grund geben durfte.
    Natürlich, kein Rektor fand es toll, wenn die Cops in seiner Schule auftauchten. So etwas beschädigte den Ruf einer Highschool. Vertrieb die wohlhabenden Eltern, die den Sommerball finanzierten, die neue Bibliothek, die längst überfällige Renovierung des Essenssaals. Seit er an der Casa Richard Academy angefangen hatte, waren die Cops drei Mal hergekommen. Immer seinetwegen. Oder vielmehr wegen Pat. Was für Mrs Prescott auf das Gleiche hinauslief. Er war das kriminelle Element, das ihre Einrichtung in Verruf brachte.
    Erschöpft schlich er durch die hintere Tür nach draußen und setzte sich auf das Mäuerchen unter den Kastanienbäumen. In zwanzig Minuten begann die Mittagspause, und es lohnte nicht, jetzt noch in den Kurs zu platzen.
    Sie hatten ihn wegen Pat gelöchert. Aber glücklicherweise hatten sie keine Ahnung, dass Ken selbst an der Jefferson Avenue gewesen war und alles mit angesehen hatte. Die Drohung, dass Pat für zwanzig Jahre im Gefängnis landen könne, machte keinen Eindruck auf Ken. Wenn es nach ihm ging, durfte Pat gern den Rest seines Lebens hinter Gittern schmoren. Gott, was für ein Segen, wenn er nie mehr auftauchen würde.
    Ein paar Minuten lang starrte er auf seine Uhr und beobachtete den Sekundenzeiger, dann lehnte er sich mit dem Rücken gegen einen Baum und schloss die Augen. Er hatte das alles so satt.
    Ein Rascheln und eine Wolke süßlichen, viel zu schweren Parfüms schreckten ihn auf.
    »July«, murmelte er, ohne die Augen zu öffnen. »Was willst du denn noch?«
    »Es tut mir leid.«
    Er spürte, wie sie sich neben ihn setzte, so dicht, dass ihre Arme sich berührten. Nun richtete er sich doch auf und sah sie an. »Der Kurs läuft

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