Purpurdämmern (German Edition)
ist es ein Skandal und eine Schande für die ganze Familie.«
»Einen Geringblütigen? Was meint Ihr damit?«
So etwas wie du,
ergänzte Nessa hilfreich.
»Jemanden, der nicht Tuatha Avalâín ist.« Newan sagte das, als wäre es das Normalste der Welt. Er klang erschöpft und eine Spur traurig. »Könnt Ihr euch vorstellen, wie viel Kraft es mich kostet, mich dieser Pflicht zu beugen? Glaubt ihr, es ist einfach für mich?« Seine Stimme hob sich. »Seht mich an! Alles, was ich bin, ist das hier.« Er deutete auf das Geschmeide mit den königlichen Insignien um seinen Hals. »Die Licht-Fayeí halten Schönheit für ein Zeichen von Nähe zum Schöpfer, und ich genüge ihren Maßstäben nicht. Sie können ihre Abscheu nur nicht laut aussprechen, weil ich der Thronerbe bin! Und jetzt, um meine Schande komplett zu machen, werde ich eine Frau heiraten, die im Ansehen meines Volkes noch weniger gilt als der Geringste der Tuatha Avalâín. Die Götter haben einen grausamen Humor.«
Fassungslos starrte sie ihn an, während sie versuchte, die aufsteigende Empörung zu kanalisieren. »Und ich weiß Euer gewaltiges Opfer nicht mal zu würdigen«, stieß sie hervor. »Ist es das, was Ihr sagen wollt? Dass ich ein undankbares Gör bin, das noch gar nicht begriffen hat, welche Ehre ihm zuteilwird?«
Seine Worte erinnerten sie auf schneidende Weise an den Vortrag ihres Vaters, über die Pflichten eines Herrschers. Wieso tat jeder, als hätte sie keine Gefühle? Sie hatte es sich nicht ausgesucht, Prinzessin zu sein! Alles, was sie wollte, war, sich der van Erlen-Karawane anzuschließen und ferne Welten zu bereisen. Als Torformer wäre sie nützlich, könnte sich ihren Lebensunterhalt verdienen. Sie interessierte sich nicht für Politik. Und dieser Unfug, verwässerte Blutlinien und Geringblütige, war noch lächerlicher als der Kult, den die Ersten Familien in Tír na Mórí um Sonnenhaar und Perlmuttaugen betrieben.
Newan straffte seine Schultern und verbannte jegliche Emotion hinter eine nichtssagende Maske. »Ich dachte mir schon, dass Ihr es nicht verstehen würdet.«
Nessa konnte sich natürlich nicht zurückhalten.
Dafür, dass er zwei Jahre jünger ist als du, benimmt er sich sehr erwachsen.
Ken hatte weder Appetit noch Hunger, deshalb verbrachte er den Rest der Mittagspause für sich allein auf den Kirchenstufen und starrte in seinen Geografie-Hefter. Er las die Aufzeichnungen, aber vergaß sie, noch während sein Blick daran klebte. Er war viel zu aufgewühlt, um sich zu konzentrieren. Die Sache mit July war dann wohl endgültig geklärt.
Die Cops hatten ihn gehen lassen, aber ihn quälte so ein Gefühl, dass es noch nicht ausgestanden war. Vor allem, weil der dritte Cop ihm beim Abschied eine Visitenkarte in die Hand gedrückt hatte. Und weil seine Stimme merkwürdig geklungen hatte, als er Ken aufgefordert hatte, ihn anzurufen, wenn ihm noch etwas einfiel. Oder wenn er Hilfe brauchte.
Hilfe wofür?
Fünf Minuten vor Ende der Pause machte er sich ohne Enthusiasmus auf zu seiner Psychologiestunde. Mrs Marks hielt einen Vortrag über die Kommunikationsprozesse im zentralen Nervensystem. Ken verlor nach fünf Minuten den Faden. Er starrte aus dem Fenster und blickte den Autos nach. Kurz vor Ende des Kurses tauchte Higgins in der Tür zum Klassenraum auf und bedeutete ihm, nach draußen zu kommen. Seine Miene verhieß nichts Gutes.
»Haben die Cops noch was vergessen?«, fragte Ken.
»Nein.« Higgins’ Stimme klirrte vor unterdrücktem Zorn. »Mrs Prescott will dich sehen.«
»Wieso?«
Einen schrecklichen Moment lang fürchtete Ken, dass die Cops herausgefunden hatten, dass er bei der Drogenübergabe dabei gewesen war. Ihm wurde schlecht. Vielleicht hatten sie seinen Anruf auf Pats Handy gesehen. Oder es abgehört. Higgins sah jedenfalls aus, als würde er gleich explodieren. Er antwortete auch nicht auf Kens Frage, sondern stürmte nur voraus, die Treppen hoch, zum Schulsekretariat.
Kurz davor blieb er so abrupt stehen, dass Ken um ein Haar in ihn hineingerannt wäre.
»Was ist zwischen dir und July vorgefallen?« Wieder dieses Klirren. Unwillkürlich wich Ken einen Schritt zurück.
»Meinten Sie das vorhin, neben der Tür?«
»Nein«, grollte der Lehrer. »Hast du sie bestohlen?«
»Was?«
»Hast du sie bestohlen oder nicht?«
Ihm wurde noch schlechter. Versuchte die Prescott, ihm was anzuhängen?
Er kam nicht dazu, eine Antwort zu geben, denn in diesem Moment flog die Tür zum Sekretariat auf und
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