Purpurdämmern (German Edition)
geflochtenen Zweigen, in der ihnen ein paar Mädchen Platten voller Speisen auftrugen. Nachdem sie gegessen hatten, bestand Aan’aawenh darauf, Kens und Santinos Wunden zu versorgen. Unter einer Sumpfeiche hieß sie sie, sich auf Lederhäuten niederzulassen und stellte eine Tasche voller Tiegel und Fläschchen vor ihnen ab.
»Was habt ihr angestellt?«, fragte sie. »Ihr seht aus, als hättet ihr eine Schlacht geschlagen, drüben auf dem Festland.«
Santino schwieg.
»Ähm, ja«, murmelte Ken. »Aua!«
Sie ließ von der Schramme an seinem Jochbein ab und drückte stattdessen auf die Schwellung über seinem linken Auge.
»Au, verdammt!«, keuchte er. »Das tut weh!«
Aan’aawenh schnaubte. »Was bist du, ein Mann oder ein Mädchen?«
Er schluckte die bissige Erwiderung herunter und starrte sie möglichst männlich an, mit verkrampften Schultern und zusammengebissenen Zähnen. Sie war gut dreimal so alt wie er selbst.
»Womöglich wirst du eine Narbe zurückbehalten, auf deinem hübschen Gesicht.« Sie seufzte und griff nach einem Salbentiegel. Das Zeug stank nach Pflaumenmarmelade und brannte wie Feuer. »Aber deine süße Freundin wird sich schon nicht daran stören. Narben sind schließlich etwas zum Prahlen.«
»Sie ist nicht meine Freundin!«, platzte er heraus.
»Aber du wünschst, sie wäre es?« Aan’aawenhs Kohlenaugen durchbohrten ihn bis zum Grund seiner Seele. Jetzt brannte nicht mehr nur die Wange. Konnte sie Gedanken lesen? Sie schnaubte erneut und schüttelte den Kopf. »Kinder.«
Er versuchte an ihr vorbeizuschielen, nur um sicherzustellen, dass Marielle nicht in der Nähe stand und alles mithörte. Aan’aawenh nahm seinen Kopf in beide Hände und drückte ihn zurück, sodass er überhaupt nichts mehr sehen konnte. Mehr Pflaumenmatsche landete auf seinem Kinn und der aufgeplatzten Lippe.
»Ampgrpfhh!« Das schmeckte nicht mal nach Pflaumen, sondern wie verschimmelte Wildschweinborsten.
»Halt still!«
»Nmpfl…«
Sie raschelte mit irgendetwas herum, dann drückte sie ihm Blätter auf die Schmiere. Kraftlos ließ er sich gegen den Baum sinken. Er blinzelte, während das Zeug sich in seine Poren brannte. Ob das auch gut gegen Pickel war?
Zuletzt schmierte Aan’aawenh die Brandblasen auf seinen Handflächen ein, dann ließ sie von ihm ab und wandte sich Santino zu.
Unter halb zusammengekniffenen Lidern hervor beobachtete Ken, wie sie dem Magier den Mantel abstreifte und wie er sich zuerst sträubte, um sie schließlich gewähren zu lassen. Den Gurt mit dem Schwert nahm sie ihm ab und legte ihn daneben. Die Metallringe, mit denen das dunkle Leder an den Schultern verziert war, klingelten leise gegeneinander. Santinos Antlitz verzerrte sich für einen Moment, als sie über die Bandage an seinem Oberarm tastete. Die Baumwolle war schmutzig und dunkel, wo Blut hindurchgesickert war. Kens Magen begann zu rebellieren. Aber vielleicht lag das nur am Pflaumenmusgeruch. Ganz sicher, es war die stinkige Pflaumenpaste. Ihm wurde doch nicht schlecht beim Anblick von ein bisschen Blut! Er war ein Mann, kein Mädchen!
Die langen, braunen Finger der Frau fuhren tiefer, bis über die Ränder des Armreifs. Santinos Hand zuckte vor und packte ihr Handgelenk. »Nicht«, sagte er.
Sie lächelte. »Ich bin nicht wie mein Bruder. Baswenaazhi hat in seinen Träumen gesehen, was geschieht, wenn die Kjer unsere Welt betreten. Er fürchtet sich. Er hat Angst, dass sie uns auslöschen, wenn sie erfahren, dass wir dir geholfen haben.«
Wieder spürte Ken diese unterschwellige Spannung, als müsste jeden Moment etwas reißen.
»Und du hast keine Angst?« Santinos Stimme klang wie Sandpapier.
»Doch«, erwiderte sie gleichmütig. »Aber ich weiß, dass es keinen Unterschied macht. Es ist egal, ob dein Geruch an uns klebt oder nicht.«
»Warum seid ihr noch hier, wenn ihr wisst, was kommt?«
»Weil es keinen Ort gab, an den wir fliehen konnten.« Mit knappen Bewegungen wickelte sie den Verband ab. »Doch das hat sich nun geändert.«
Ken wollte fragen, was die Kjer waren und warum sie die Welt auslöschen würden, doch seine Lippen fühlten sich taub an. Außerdem war er nicht scharf darauf, noch mehr von dem Zeug in den Mund zu kriegen. Also schwieg er und hörte zu.
»Tut das weh?« Aan’aawenh drückte auf der Wunde herum und entlockte Santino ein schmerzerfülltes Keuchen. »Ah, natürlich.«
Sie verschmierte einen halben Tiegel von ihrer Salbe und presste große, wachsgrüne Blätter darauf, die
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