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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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wehgetan, er hätte sich die flache Hand vor die Stirn geschlagen.
    Was sollte Mom darauf erwidern? Ihn ansehen, aus sanften, leeren Augen, ihm über die Wange streichen und eine Floskel murmeln, wie stolz er sie machte? So als wäre es egal, ob er »College« sagte oder »Harry Potter«? Als hätte er auch sagen können: »Ich werde Schlangenbeschwörer«?
    »Wegen der Sache mit dem Lehrling noch mal«, setzte er an.
    »Ja?«
    »War das ernst gemeint?«
    »War es.«
    »Und steht das Angebot noch?«
    Der Magier setzte ein schiefes Grinsen auf. »Schlägst du ein?«
    »Darf ich vorher was fragen?«
    »Darfst du.«
    Der Weg wand sich als schmales Band zwischen Eichen und Blaueschen hindurch. Gras federte unter ihren Sohlen, goldgrüne Mooskissen, Hahnenfuß und Kobralilien.
    »Gibt es …« Verflixt, wie sollte er das jetzt ausdrücken? Seine Wangen glühten, und das kam nicht von der Anstrengung des Laufens. Er war aufgeregt wie bei einem Vorstellungsgespräch. »Ich meine, bekommt man als Zauberlehrling ein Gehalt?« Aus dem Augenwinkel spähte er nach Santinos Miene. Die nichts verriet, wirklich gar nichts. »Oder ist das so ein Kost-und-Logis-Ding?«
    Fand Santino das etwa lustig? Die Mundwinkel des Magiers zuckten verdächtig.
    »Ich weiß nur nicht, was so üblich ist,« Ken machte eine weite Armbewegung, die ein Buchfinkenpärchen aus dem Gebüsch aufscheuchte, »als – ähm, Zauberlehrling.«
    »Ich lasse dich bestimmt nicht verhungern, wenn das deine größte Sorge ist.« Santino schlug ihm auf die Schulter, dass er zusammenzuckte. »Frag Nessa, die Küche im Tíraphal ist ausgezeichnet.«
    »Was für ein Tier?«
    »Der Tíraphal. Der Königspalast von Tír na Mórí, der Stadt der Nebel-Fayeí in Níval.«
    Ach ja, Palast. Wo sie gerade beim Thema waren. Ihre Königliche Beleidigtheit achtete nach wie vor darauf, den Abstand zwischen ihnen nicht schmelzen zu lassen. Sie war wohl wirklich sauer. »Und du bist ihr Leibwächter, oder so was Ähnliches?«
    »So was Ähnliches.«
    »Das heißt, wenn ich dein Lehrling werde, dann komme ich mit in dieses Tier … dieses Moor … diese Königsstadt?« Wo Marielle residierte? Das sprach er nicht aus, aber es schickte ihm einen Extraschwall Hitze in die Wangen. »Und kann ich dann noch nach Detroit zurück?«
    »Ich lege dich jedenfalls nicht in Ketten und schließe die Tür vor dir ab. Du kannst kommen und gehen, wie es dir passt. An Toren mangelt es ja nicht.«
    Der Weg führte auf drei nebeneinandergelegte Baumstämme zu, die einen tiefen Erdspalt überspannten. Marielle stand genau auf der Mitte der Brücke und bewegte sich nicht. Nessa lümmelte auf ihrer Schulter, Schwanz und Pfoten wie nasse Lumpen.
    Aus weiter Ferne war ein Rauschen zu hören, wie Stromschnellen oder ein kleiner Wasserfall.
    »Was ist?«, rief Santino. »Warum gehst du nicht weiter?«
    Marielle machte eine Geste mit der Hand, und da sah auch Ken die Gestalt, gekleidet in Farben wie Laub und Erde. Ein hochgewachsener, seltsam befiederter Mann stand am andern Ende des Übergangs. In der Hand hielt er ein gekrümmtes Stück Holz, nicht länger als sein Unterarm, von dem mehrere Bündel gesträubter schwarzer Federn herabhingen. War das ein Indianer? Oder noch ein Verrückter in dieser vollkommen irrsinnigen Realität?
    Er versuchte sich die Geschichte von Pêche Island ins Gedächtnis zu rufen, doch die Erinnerung blieb vage. Kamen da Indianer vor? Vermutlich. Die ganze Gegend hier war früher Indianerland gewesen.
    In diesem Moment erhob der Indianer, oder was immer er war, seine Stimme: »Ich bin Baswenaazhi, ich bin der Echo-Sucher, und das ist mein Land. Warum verletzt ihr den Pakt?«
    Santino betrat die Brücke, schob sich an Marielle vorbei und blieb eine Armlänge vor Baswenaazhi stehen. »Wir wollen nicht stören. Wir suchen nur einen Weg von der Insel.«
    »Aber ihr verletzt den Pakt«, beharrte der Echo-Sucher. »Warum seid ihr hergekommen?«
    »Ist eine längere Geschichte.« Santino drehte beide Handflächen nach oben. »Es lag jedenfalls nicht in unserer Absicht, einen Pakt zu verletzen, und wenn du uns sagen kannst, wie wir von hier nach –« Er drehte den Kopf zu Ken. »Wo müssen wir genau hin?«
    »Zur Michigan Central Train Station«, sprang Ken ein. »Zum Depot.«
    Baswenaazhi kniff die Augen zusammen, was seinem von Runzeln und Furchen durchzogenen Gesicht das Aussehen einer hundertjährigen Birkenborke gab. »Ich kenne keinen Ort dieses Namens. Aber wisset, dass der Pakt

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