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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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hatten sie ein Modell, das einen ganzen Saal füllte. Trotzdem war es nur eine grobe Vereinfachung für das Spektrum der Welten.« Er schloss die Augen. »Stell es dir wie eine riesige, vieldimensionale Wolke vor. Im Zentrum liegt der Kern, dort befinden sich die Stabilen Welten. Das Gewebe, aus dem die Realität besteht, ist starr und engmaschig am Kern, deshalb sind diese Welten kaum spontanen Veränderungen unterworfen. Man kann nicht einfach durch Wille und Vision die Materie verformen. Und deshalb funktioniert in deiner Welt so gut wie keine Magie.«
    »Der Kern«, wiederholte Ken. »Klar.«
    Obwohl es eigentlich nicht besonders klar war. Aber vielleicht lag das auch daran, dass das Jucken ihn allmählich in den Wahnsinn trieb.
    »Die Stabilen Welten liegen auf der Achse, die man den Zeithorizont nennt. Je weiter eine Realität von dieser Achse entfernt ist, desto schneller oder langsamer verläuft ihre Zeit.«
    »Mmhm.«
    »Drei Dimensionen kreisen um den Kern. Die Dämmerschatten. Das Scharlachrot. Der Rabenfächer. Oder jedenfalls ist das die Lehrmeinung. Vielleicht gibt es noch mehr, aber niemand hat sie bisher entdeckt.«
    Entdecker fremder Welten. Es kribbelte Ken so sehr in den Adern, dass er für einen Herzschlag das Jucken vergaß. Genau das, was er in der Nacht zuvor gedacht hatte. Es war zu gut, um wahr zu sein!
    »Níval, die Fayeí-Welt, aus der Marielle kommt, liegt im Scharlachrot.« Santino griff nach seinem Mantel und stopfte ihn sich unter den Kopf. »Das Scharlachrot ist ziemlich stabil, aber nicht so starr wie der Kern. Das Gewebe lässt sich formen, allerdings braucht es dafür Talent. Deshalb existieren im Scharlachrot keine wilden Welten, wie diese hier. Im Scharlachrot ruhen die meisten künstlich erschaffenen Sphären, die mit einem Anker in einer stabilen Welt südlich des Zeithorizonts verbunden sind.«
    »Ähm … aha.«
    »Du verstehst kein Wort, oder?«
    »Doch, doch.« Ken zögerte. »Also, nein.«
    »Stell dir vor, du wärst ein mächtiger Magier, der sich nach tausend Jahren zur Ruhe setzen will.«
    »Klar.«
    »Du willst dir ein Haus bauen mit einem Garten drum herum, aber du findest nicht den richtigen Platz dafür. Die Welten, die du kennst, gefallen dir nicht. Außerdem könnte es ja sein, dass irgendein Kriegsherr ausgerechnet in die Stadt einfällt, die du dir ausgesucht hast, und seine Soldaten deine Blumenbeete zertrampeln. Also baust du dir lieber deine eigene, jungfräuliche Welt, eine Sphäre ganz nach deinem Geschmack, mit einem einzigen Portal in die Außenwelt, zu dem nur du allein den Schlüssel besitzt.«
    »Wow. Kommt das oft vor? Also, könnte ich das auch? Wenn ich bei dir in die Lehre gegangen bin?«
    Über ihren Köpfen raschelten Eichhörnchen im Geäst. Vögel stritten sich, ab und an fiel ein Zweig herunter oder eine halbreife Maulbeere.
    Santino lachte. »Ich habe mir sagen lassen, man braucht zwei- bis dreitausend Jahre Übung und göttergleiches Potenzial. Ich schlage vor, du lernst erst einmal, wie man eine kleine Flamme kontrolliert, bevor du dich ans Weltenerschaffen machst.«
    »Könntest du eine Welt bauen?«
    »Vielleicht eine winzig kleine. So groß wie meine Hand. Keine Ahnung. Ich habe es nie versucht.«
    »Und die anderen Dimensionen? Dämmerschatten und Raben-Dings?«
    »Rabenfächer.«
    »Meinte ich doch.«
    »Der Rabenfächer …« Santino zögerte, wie von plötzlichem Zweifel überfallen. Oder einer intensiven Erinnerung. »In dem Modell in der Akademie gleicht der Rabenfächer einem gewaltigen ineinanderverdrehten Riff. Ein Labyrinth verästelter Bäume mit bodenlosen Klüften und Abgründen und trügerisch warmen Lagunen.« Er stieß hörbar den Atem aus. »Jede Knospe birgt ein Kaleidoskop von Welten. Die Realitäten durchbohren sich, sie überlappen einander, sie ziehen andere in ihren Bann oder werden selbst gebannt, von einer stärkeren Macht. Der Rabenfächer ist wilde, ungelenkte Magie. Du brauchst kein Talent, um das Gewebe zu formen. Es schäumt und brodelt wie frische Hefe. Es genügt eine heftige Emotion, um eine ganze Welt zu verändern. Mein alter Lehrer an der Akademie sagte, das Gewebe des Rabenfächers seien die Träume von Göttern. Ob das die Wahrheit ist, weiß ich nicht. Es ermöglicht Schöpfungen, die die kühnsten Träume der Scharlachrot-Former übertreffen.«
    »Also ist im Kern die langweilige, normale Welt, im Scharlachrot sind die abgefahrenen Welten und der Rabenfächer ist das Irrenhaus.«
    »So könnte man

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