Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera

Vom Netzwerk:

es auch ausdrücken«, sagte der Magier trocken.
    »Und Dämmer-Detroit?«
    »Ist eine Welt der Dämmerschatten.«
    Ach ja. Die gab es ja auch noch. Ken beschlich so eine Ahnung, dass ihn in dieser Lehrzeit mehr erwartete, als Zielübungen mit Feuerbällen. Dabei hatten sie noch nicht einmal angefangen! »Und die Dämmerschatten, was ist das genau?«
    »Ein Schleier aus wildem Gewebe, der die Kernwelten umhüllt. Stell dir vor, du schleifst die Oberfläche eines Metallblocks mit feinem Sandpapier und betrachtest ihn im schräg einfallenden Sonnenlicht. Der Block ist wie deine Welt, und die feinen, glitzernden Metallpartikel, die noch in der Luft schweben, sind die Dämmerschatten. Der Block ist solide, doch die flüchtige, glitzernde Wolke, die formt sich schon neu, wenn du nur dagegen bläst. Während Magie im Kern überhaupt nicht funktioniert, entlädt sie sich hier in unkontrollierten Explosionen, wenn du nur den kleinen Finger krümmst. Du hast es selbst erlebt.«
    Ja, allerdings. Die Salbe auf seinen Brandblasen fühlte sich an wie tausend kleine Mäusefüßchen.
    »In den Dämmerschatten materialisieren sich Reflexionen der Kernwelten. Träume, Sehnsüchte, kollektive Legenden. Du suchst die Nachwelten eurer Religionen? Himmel, Hölle, Walhalla? Hier wirst du sie finden.«
    »Und wieso habe ich noch nie davon gehört? Wieso weiß keiner davon? Wenn ich morgen in der Schule erzähle, dass wir in Dämmer-Detroit Spalthunde mit Feuerbällen angezündet haben, dann denken die, ich hätte lustige bunte Pilze gegessen und rufen die Jungs mit den Zwangsjacken!«
    »Das liegt doch auf der Hand!« Santino rollte sich herum und stützte sich auf seinem unversehrten Arm auf, sodass ihre Gesichter sich fast auf einer Höhe befanden. »Weil das Gewebe der Stabilen Welten so solide ist wie der Metallblock. Das kann man nicht einfach auftrennen und ein Tor hineinsetzen. Man braucht einen außergewöhnlich fähigen Former, wie es nur eine Handvoll im Spektrum gibt, und dann noch gute Instinkte, um eine Stelle zu finden, an der das Gewebe etwas nachgiebiger ist. Für die meisten Weltenwanderer ist der Kern ein Ort ferner Mythen. Niemand gelangt hinein und niemand heraus. Woher sollten die Kernbewohner also ein Bewusstsein für die Gesamtheit des Spektrums entwickeln?«
    »Aber du bist hineingekommen. Und Marielle. Sie hat selbst gesagt, dass sie Tore im Depot errichtet hat. Dreiundzwanzig! Wie hat sie das gemacht, wenn es nicht geht?«
    »Tja«, Santinos Stimme kühlte sich merklich ab, »das würde mich auch interessieren.«
    Ken tastete mit einer Fingerspitze über seine Lippe. Das Jucken war fast ganz verschwunden, es kribbelte nur noch ein wenig. Aan’aawenh hatte nicht gesagt, wie lange das Pflaumenmus draufbleiben musste. Er betrachtete seine Hände. Die Pampe war gelbbraun und von faseriger Konsistenz. Dann blickte er wieder Santino an. »Warum seid ihr überhaupt hierhergekommen?«
    »Sie ist von zu Hause ausgerissen, und ich fange sie wieder ein, bevor ihr was zustößt.«
    Er erwiderte Santinos Grinsen und fühlte sich sehr erwachsen. Ihre Königliche Hoheit, eine Ausreißerin? Dann unterschied sich das Leben einer außerweltlichen Thronerbin wohl nicht so sehr von dem, das July und die anderen Hühner an der Highschool führten. Kein Wunder, dass Marielle sich bei der kleinsten Meinungsverschiedenheit so zickig aufführte. Sie war vermutlich nicht heiß darauf, an den Ohren in ihren Prinzessinnenpalast zurückgeschleift zu werden, wo sie eine Extrarunde Hausarrest erwartete, und Strafputzen des königlichen Silberbestecks mit kleinen Läppchen, oder was immer die Buße fürs Ausreißen bei unartigen Prinzessinnen war.
    »Aber wenn sie so gut im Torbauen ist, wie du sagst, dann haut sie doch sofort wieder ab.«
    »Jetzt weißt du, was mir schlaflose Nächte bereitet.«
    »Was hat sie denn ausgefressen?«
    »Sie und ihr Vater können sich über eine gewisse Angelegenheit nicht einigen.«
    Auf einen Schlag verflog sein Humor. »Wie meinst du das? Schlägt er sie?«
    Santinos Augen wurden schmal. »Wie kommst du darauf? König Eoghan ist ein ehrenhafter Mann. Er würde nie eine Hand gegen seine Tochter erheben, oder gegen sonst einen anderen Schutzbefohlenen.«
    »Schon gut.« Der Hauch von Kälte verschwand. Ken kam sich albern vor. »Tut mir leid. War eine blöde Frage.«
    Marielle tauchte erst nach Einbruch der Dunkelheit wieder auf. Sie schien sich mit den Indianermädchen angefreundet zu haben, denn ihr