Purpurfalter
Bevor sie die Stufen hinabschritt, sah sie Schomul tief in die Augen. Sie meinte Sehnsucht zu erkennen, gar Scham. Bereitwillig ließ sie sich von ihrem Bruder durch die Versammelten führen. Sie vermied es, in ihre Gesichter zu gucken. Sie wollte nur fort. Als sie in die Festung trat und Lomas sie die Treppe hoch in ihr Gemach geleitete, entspannte sie sich. Bleierne Müdigkeit überwältigte sie. Sie fühlte sich so erschöpft wie nie zuvor.
Lomas küsste sie zärtlich auf die Stirn. „Leg dich aufs Bett bis die Mägde kommen und den Badezuber vorbereiten.“
Kraftlos nickte sie und legte sich hin. Sie schloss die Augen. Mogall tauchte in ihren Gedanken auf, wie er schwer atmend, mit todtraurigem Blick vor dem Schafott stand und sie herzzerreißend ansah. Schluchzend zog sie die Gänsedaunendecke bis unters Kinn. Sie spürte, wie Lomas ihr die Schuhe auszog und schlief ein.
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Stühle wurden gerückt. Der Fußboden knarrte. Gemurmel war zu hören. Loreena öffnete verschlafen die Augen. Draußen verschloss die Finsternis der Nacht das Fenster wie ein Vorhang. Ihr Blick schweifte zum massiven Eichenholztisch, der vor dem Bett stand. Die Flamme der Kerze, die darauf stand, flackerte beruhigend. Kerze? Tisch? Weshalb stand er nicht auf der anderen Seite des Raumes wie immer? Träge rollte sie sich auf den Rücken.
Ein Diener mit Hakennase verneigte sich vor ihr. „Es tut uns Leid, Euch geweckt zu haben. König Wor befahl uns, Euch ein Bad zu bereiten.“ Er deutete auf den Badezuber aus Kiefernholz, den zwei Mägde mit tropfnassen Schürzen und hochgekrempelten Ärmeln mit dampfendem Wasser füllten.
„Schon gut.“ Loreena richtete sich mühsam auf. Sie konnte kaum glauben, dass sie so tief und fest geschlafen und den Umbau in ihrem Gemach nicht bemerkt hatte.
Der Diener schloss die Vorhänge und winkte die Mägde aus dem Raum. Sich verneigend verließ er das Zimmer ebenfalls und schloss die Türe hinter sich.
Loreena erhob sich vom Bett, noch immer kraftlos. Lange konnte sie nicht geschlafen haben. Sie knöpfte ihr Kleid auf. Gähnend streifte sie es ab, warf es achtlos auf einen Stuhl und entledigte sich der Schuhe. Die Kerze flackerte. Loreena reckte sich. Es war still auf Tide. Alle mussten bereits schlafen oder die Festung verlassen haben. Sie erinnerte sich an das Bankett und verspürte Übelkeit. Es war vorüber. Ihre Befürchtungen hatten sich zwar bestätigt, doch das Schicksal hatte es noch einmal gut mit ihr gemeint. Endlich breitete sich Erleichterung in ihr aus. Sie war dem Tod von der Schippe gesprungen. Amorgene konnte ihr nie wieder etwas anhaben. Und Valkenhorst hatte Ingrimm nicht unterjocht. Oder doch? Loreena hielt für einen Augenblick inne. Woher sollte sie wissen, was geschehen war? Sie hatte sich früh vom Fest verabschiedet. Fest? Nein, ein Schafott - etwas anderes war diese Farce nie in ihren Augen gewesen.
Loreena löste die Haarnadeln und lockerte ihre Hochsteckfrisur, indem sie mit den Fingerspitzen durch die sandblonden Haare fuhr. Ihre Kopfhaut schmerzte. Ihr Herz schmerzte. Mogall, dieser Verräter! Wie hatte er sie nur die ganze Zeit hinters Licht führen können? Sie hatte sich in ihm getäuscht. Er hatte sie betrogen und ausgenutzt. Und seine Gefühle für sie - waren sie gespielt oder echt?
Loreena massierte ihre Schläfen mit den Fingerspitzen. Ihr Herz pochte bis in die Stirn. Dabei lag der größte Druck nicht auf ihr, sondern auf Lomas, dem Thronerben. Lomas, der Hoffnungsträger. Lomas, der verloren geglaubte Sohn. Nun war er heimgekehrt. Doch die Bürde trug immer noch Loreena. Alle Blicke richteten sich auf sie. Aber daran trug nur sie selbst Schuld. Kopfschüttelnd zog sie das Mieder aus. Sie hatte nie einen Hehl aus ihrer Ablehnung gegen Valkenhorst gemacht. Das war töricht. Lomas dagegen agierte mit Vernunft. Er hinterließ den Eindruck von Gleichgültigkeit, selbst bei seiner Schwester, die ihn mitunter am besten kannte. Dabei brodelte es in seinem Inneren. Er verlieh dem Geheimbund Stärke. Bald, schon sehr bald würde sowohl Lomas, als auch der Bund seine alte Kraft erlangen – und die Vampire in ihre Grenzen verweisen.
Der Holzboden knarrte unter ihren bloßen Füßen, als sie zum Badezuber ging. Vorsichtig hielt sie einen Finger in das Wasser. Es war angenehm warm und duftete nach Lavendel. Lautlos glitt sie hinein. Loreena lehnte sich zurück, legte den Hinterkopf auf den Rand und schloss die Augen. Seufzend breitete sie die Arme aus und legte sie
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