Purpurfalter
„Nein.“
Sie hielt seinem Blick stand. „Oder Kräutertee?“
„Wirklich nicht, Prien.“ Schomul erschrak, als er ihren Namen aussprach. Er erinnerte sich an einen schönen Sommertag. Mit Wehmut dachte er daran, wie sie sich einmal von der Arbeit fortgeschlichen hatten und gemeinsam über satte Wiesen gerannt waren. Oft hatte er ihren Namen gerufen, nur um sie zum Lachen zu bringen und ihn selbst zu hören. „Mit Milch oder Tee ist mir nicht zu helfen.“
„Aber vielleicht ist es dann nur halb so schlimm.“ Sie lächelte zaghaft.
„Ich sagte doch, mir geht es gut.“ Schomul betrachtete sie rügend. Sie sah erbärmlich aus in ihrem torfbraunen Leinenkleid, das schmutzig und zerrissen war.
„Mir ist nicht zu helfen.“
Prien nahm auf der Bettkante Platz. Die plötzliche Nähe verunsicherte Schomul. Er setzte sich aufrecht hin und wich in die äußerste Bettecke zurück. Verstohlen sah er auf den schlanken Hals seiner Schwester. Er meinte, ihr Blut pulsieren zu hören. Das Verlangen nach dem Lebenssaft war stark. Speichel sammelte sich in seinem Mund. Er strich mit der Zunge über seine Lippen und hasste sich für diese Gier. Angst überkam ihn, er könnte sich der übermächtigen Lust hingeben und auf Prien stürzen. Wie konnte er sich nur unter Kontrolle halten? Wie würde er je als Vampir leben können? Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn seine Familie ihn getötet hätte, bevor er seine Familie tötete.
Prien holte ihn aus seinen Gedanken zurück. „Vater sagt, du würdest bald fortgehen.“
„Das werde ich.“ Ihre Unschuld stimmte ihn milde.
„Warum?“ Fragend zog sie die Augenbrauen hoch.
Schomul überlegte, was er antworten sollte. Wusste sie von seiner Wandlung? Er wollte sie nicht mit all dem belasten, gar Angst machen. Unsicher schaute er sie an.
Sie seufzte laut. „Vater sagt, du wirst ein Vampir.“
Wieder war er sich nicht sicher, was er entgegnen sollte. Sie wusste also längst Bescheid. Schweigend nickte er.
„Wirst du in der Siedlung der Vampire wohnen? Dann kannst du uns doch besuchen kommen.“
„Prien, ich werde fortgehen, weit weg. Wohin, weiß ich noch nicht.“ Schomul rückte ein Stück an sie heran und wunderte sich, dass sie nicht ängstlich zurückwich.
„So weit, dass du uns nicht besuchen kommen kannst?“ Gedankenversunken spielte sie mit ihrem schwarzen Haarzopf, der ihr über die Schulter hing. Als er nicht antwortete, fügte sie hinzu: „Das gibt es nicht!“
„Was gibt es nicht?“, fragte er.
Sie kaute kurz auf ihren Haarspitzen herum. „Egal, wo du hinziehst, du kannst uns von überall her besuchen kommen. Kein Weg ist zu weit, um seine Familie wieder zu sehen.“
Erschüttert betrachtete Schomul Priens schmale Arme. Wie zerbrechlich ihr Körper wirkte! Wie zart! Oft hatte er davon geträumt, sie aus Valkenhorst fortzubringen, damit das Mädchen ein besseres Leben führen könnte. Doch die Menschen konnten keinen Fuß vor den anderen setzen ohne von den Vampiren kontrolliert zu werden. Schomul hatte seine gesamte Familie retten wollen, aber mit mehreren Personen hätten sie nicht flüchten können. Und so war aus dem Wunsch nie ein Plan geworden.
Prien rückte näher. „Wenn du ein Vampir bist, kannst du uns doch helfen.“
Verwirrt blickte Schomul sie an. „Was redest du für einen Unsinn?“
„Du wirst stark sein, so stark wie die Blutsauger.“ Sie warf lächelnd ihren Haarzopf über die Schulter. „Du wirst einer von ihnen sein. Vielleicht kannst du sie davon überzeugen, uns Menschen frei zu lassen.“
Schomul knurrte. „Nie werde ich einer von ihnen sein!“ Aber zog es nicht jedes Geschöpf zu seinesgleichen hin?
Temperamentvoll streckte sie ihre Hand nach seinem Unterarm aus. Kaum berührten ihre Fingerspitzen seine Haut, fuhr er zusammen. Er entzog sich ihr schnell. „Mach das nie wieder. Berühr mich nie wieder!“ Scharf klangen seine Worte.
Prien hielt erschrocken den Atem an. Mit weit aufgerissenen Augen und einer Hand vor dem Mund murmelte sie: „Es tut mir Leid. Wirklich.“
Schomul schmerzte es, sie erschreckt zu haben. Aber sein Mund lechzte nach Blut, nach Menschenblut, das Fedlor ihm bald bringen würde. Und je näher der Moment rückte, desto mehr schwoll seine Gier an.
Prien beruhigte sich wieder. „Du musst für uns kämpfen, Bruder. Du bist unsere einzige Hoffnung. Bitte, geh zu den Vampiren und mach, dass es den Menschen besser geht.“
„Du siehst meine Wandlung als Chance?“ Verdutzt strich er
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