Purpurschatten
geholfen. Ich war für ihn halb Beichtvater, halb Ersatzmutter. Und manchmal habe ich mich bei ihm ausgeheult. Das letzte Mal vor ein paar Tagen in München.«
»Bis hierher brauchst du kein schlechtes Gewissen zu haben.« Brodka erhob sich und trat hinter Juliette ans Fenster.
»Nein, nein. Es ist nicht, was du jetzt vielleicht denkst. Als ich mich von ihm verabschiedet habe, sah ich in seinem Zimmer etwas liegen, das ich die ganze Zeit nicht bemerkt hatte …«
»Und was?«
»Eine Purpurschlinge.« Juliette drehte sich um.
»Was sagst du da?« stieß Brodka hervor.
»Ich habe auch keine Erklärung dafür.« Juliette schmiegte sich an seine Brust. »Aber wir lassen uns nicht unterkriegen. Nicht wahr, Brodka? Wir lassen uns nicht unterkriegen.«
Von Baldassare Cornaro erfuhr Brodka, daß die Beerdigung Arnolfo Carraccis am nächsten Vormittag auf dem Friedhof Verano stattfand. Wenngleich Brodka und Juliette von Friedhöfen die Nase voll hatten, bot das Begräbnis des alten Hausdieners vielleicht eine Möglichkeit, aufschlußreiche Beobachtungen zu machen.
Doch es war riskant für sie beide. Sie durften auf keinen Fall von Fasolino und dessen Komplizen gesehen werden, wer immer diese Männer sein mochten. Deshalb schlichen sie sich lange vor Beginn der Beisetzung auf die riesige Begräbnisstätte.
Es war ein leichtes, sich in dem Wald von Grabsteinen und pompösen Denkmälern zu verstecken. So warteten sie auf die Trauergesellschaft.
Sie hatten eine vielköpfige Trauergemeinde erwartet, wie in Italien üblich, und waren erstaunt, als hinter dem Sarg mit dem Pfarrer nur sieben Personen schritten: der Neffe Baldassare mit seiner Frau Adriana, Anastasia Fasolino ohne ihren Mann Alberto, zwei junge Leute vom Hauspersonal und zwei Männer, die ihr besonderes Interesse erregten.
»Das ist doch wieder dieser mysteriöse Fotograf!« flüsterte Juliette, während der kleine Trauerzug den Weg zur Grabstätte nahm. »Was hat der Kerl mit Arnolfo zu schaffen?«
Brodka hob die Schultern. »Und der andere? Mir kommt es vor, als wäre ich dem Mann auch schon mal begegnet.«
»Ja«, entgegnete Juliette, »jetzt, wo du es sagst …«
Während der Pfarrer mit hoher Fistelstimme Gebete sprach, meinte Brodka: »Ich bin nicht sicher, ob wir Baldassare wirklich trauen können, auch wenn es so aussieht, als hätten wir denselben Gegner.«
»Aber sie haben seine Wohnung verwüstet, und er hat dir den Schlüssel gegeben.«
»Verkauft, Juliette, verkauft! Und es muß sich erst noch herausstellen, ob die ganze Sache nicht ein Betrug ist.« Brodkas Rechte glitt unwillkürlich in seine Hosentasche, um nach dem Schlüssel zu tasten.
Nach fünfzehn Minuten war die Beerdigung zu Ende. Die Trauergäste zerstreuten sich eilig.
»Armer Arnolfo«, sagte Juliette, als sie den Friedhof verließen.
»Ich hätte dem alten Mann noch ein paar Jahre gegönnt«, meinte Brodka und fügte in einem Anflug von Zynismus hinzu: »Dann hätten wir wenigstens erfahren, was wir mit diesem verdammten Schlüssel anfangen können.«
Die Suche nach dem Tresor, dessen Schlüssel sie besaßen, gestaltete sich schwieriger, als Brodka erwartet hatte. Er war nach seinem Gespräch mit Baldassare Cornaro überzeugt gewesen, daß der Schlüssel zu einem Bankschließfach gehörte. Doch die Bank, bei der Baldassare ein Konto für seinen Onkel führte, erwies sich als Fehlschlag. Ebenso sämtliche Banken, die in der Nähe von Arnolfos einstiger Arbeitsstätte lagen.
Ein Blick ins Telefonbuch verriet, daß es in Rom mehr als tausend Banken und Zweigstellen gab – ein aussichtsloses Unterfangen. Deshalb versuchte Brodka, über die Zentralen aller in Rom ansässigen Banken die Schlüsselcodes ihrer Filialen zu erfahren.
Auch dieser Versuch erwies sich als Fehlschlag. In den meisten Banken erntete Brodka nur Mißtrauen und die Auskunft, man könne nicht mit Bestimmtheit sagen, welches Schlüsselsystem in den verschiedenen Zweigstellen Verwendung finde. Anfragen dieser Art seien noch nie vorgekommen.
Allmählich wuchs bei Brodka der Zorn auf Baldassare Cornaro, der ihn möglicherweise betrogen hatte; er spielte mit dem Gedanken, den nutzlosen Tresorschlüssel zurückzugeben und sein Geld zurückzuverlangen.
Entgegen ihrer Gewohnheit zeigte Juliette in diesem Fall mehr Ausdauer. Sie überzeugte Brodka davon, daß Baldassare viel zuviel von sich und seinem Onkel preisgegeben habe, um das Risiko eines Betrugs auf sich zu nehmen. Zum anderen, meinte Juliette, könne
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