Purpurschatten
Schüsse, die nach Meinung der Polizei tatsächlich ihm, Brodka, als Warnung zugedacht gewesen waren. Es war ein verrücktes, unentwirrbares Knäuel. Brodka neigte inzwischen sogar dazu, die unerwartete Begegnung mit Professor Collin und die unwillkommene Einladung zum Abendessen mit den mysteriösen Umständen des Todes seiner Mutter in Zusammenhang zu bringen. Doch er verwarf diesen Gedanken rasch wieder. Es war verrückt. Das alles war verrückt. Er war fast so weit, an seinem Verstand zu zweifeln.
Zumindest was die fremde Stimme betraf, die ihn bei der Vernissage beinahe aus der Fassung gebracht hätte, hatte er sich bestimmt getäuscht. Er war überdreht gewesen. Kein Wunder bei all der Aufregung, die er in den letzten Tagen hatte durchmachen müssen.
Oder? Kaum hatte Brodka sich mit dem Gedanken angefreundet, überkamen ihn neuerliche Zweifel. Die Stimme war zu markant, um sie nicht aus Hunderten heraushören zu können. Er schaltete den Anrufbeantworter ein, um sich noch einmal zu vergewissern. Das Gerät gab mehrere Pieptöne von sich; dann folgte nur noch Rauschen.
Brodka stutzte, versuchte es erneut – mit dem gleichen Ergebnis. Wütend begann er an dem Gerät herumzuschalten, doch so sehr er sich auch mühte, es war nur ein Zischen und Rauschen zu hören.
»Das gibt's doch gar nicht!« rief er zornentbrannt und drosch mit der flachen Hand auf das Gerät. Das Band war von Anfang bis Ende gelöscht, und er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie das geschehen sein konnte. Er selbst war es jedenfalls nicht gewesen.
Wer dann?
Noch einer dieser seltsamen ›Zufälle‹? Furcht stieg in Brodka auf. Er fühlte sich beobachtet. Irgend jemand mußte bei ihm eingebrochen sein und das Band gelöscht haben.
Brodka ging zur Tür, betrachtete das Schloß von beiden Seiten, konnte aber keine Spuren entdecken, die auf einen Einbruch schließen ließen. Hastig begann er seine Wohnung zu durchsuchen, um festzustellen, ob irgend etwas fehlte oder verstellt war oder ob es irgendeinen anderen Hinweis auf einen ungebetenen Besucher gab. Als er keine Anhaltspunkte dafür fand, durchwühlte er Schubladen und Schränke, fluchend, verzweifelt, von Furcht und hilfloser Wut angetrieben.
Minutenlang wütete er wie von Sinnen. Als er erschöpft innehielt und sah, was er in seinen eigenen vier Wänden angerichtet hatte, ließ er sich auf einen Stuhl fallen, stützte die Ellbogen auf die Knie und verbarg das Gesicht in den Händen.
Brodka weinte; es waren Tränen der Hilflosigkeit, Tränen der Wut, daß er es so weit kommen hatte lassen. Er kannte sich selbst nicht mehr. Verdammt, er war doch sonst ein harter Knochen; er mußte es sein, um sich in seinem Beruf durchzusetzen. Ohne Härte hätte er es nie so weit gebracht.
Wer in aller Welt trieb ein so teuflisches Spiel mit ihm? Was bezweckte diese Person – oder diese Leute? Und welchen Grund hatten sie, ihn so in die Enge zu treiben?
Am folgenden Tag erschien Brodka kurz nach 19 Uhr zum Dinner bei den Collins. Juliette hatte sich mit ihm in allen wichtigen Punkten abgesprochen, damit es beim Gespräch keine Unstimmigkeiten gab. Im übrigen sollte Brodka am besten bei der Wahrheit bleiben. Natürlich würden sie sich mit ›Sie‹ anreden, was in ihrer Situation nicht ganz einfach war.
Brodka reichte Juliette ein Blumengebinde und gab ihr einen Handkuß.
Der Professor war wie umgewandelt. Keine Spur mehr von jenem beklagenswerten, abstoßenden Geschöpf das Brodka zwei Tage zuvor erlebt hatte. Collin war nicht nur äußerst gut gekleidet, er sprühte vor guter Laune und machte gar nicht erst den Versuch, zu beschönigen, unter welch peinlichen Umständen sie sich kennengelernt hatten.
»Wissen Sie«, sagte er, während Juliette als Vorspeise gefüllte Avocados auftrug, »manchmal bin ich ein Kotzbrocken – verzeihen Sie den Ausdruck. Volltrunken und völlig weggetreten. Das sind die Augenblicke im Leben, die ich im nachhinein gern ungeschehen machen würde. Aber es ist sinnlos, darüber nachzudenken. Ein Alkoholiker bleibt, was er ist. Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu sehr erschreckt, Herr Brodka.«
»Keineswegs. Ich bin nur erstaunt, wie sachlich Sie über Ihr Problem sprechen. Die meisten Alkoholiker versuchen, ihre Sucht herunterzuspielen. Zumindest suchen sie nach einer Erklärung.«
Collin hob beide Hände. »Mein Freund, da gibt es weder etwas zu beschönigen noch zu erklären. Sucht bleibt Sucht.« Er räusperte sich. »Ich möchte Sie nur um eines bitten. Wie
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