Purpurschatten
Sie wissen, leite ich als Chirurg eine renommierte Privatklinik. Wenn öffentlich bekannt würde, daß ich Alkoholiker bin …«
»Ich verstehe«, sagte Brodka. »Und ich versichere Ihnen, daß die Sache unter uns bleibt.«
Juliette hatte sich bisher zurückgehalten; nun aber wandte sie ein: »Können wir uns nicht über etwas Erfreulicheres unterhalten?«
»Ja, gewiß«, entgegnete der Professor, »ich wollte dem Abend nur die Peinlichkeit nehmen und unseren Gast darauf hinweisen, daß das Thema bei uns nicht tabu ist. Jedenfalls danke ich Ihnen für die Hilfe, die Sie mir zukommen ließen.«
Er hob sein Glas und prostete Brodka zu.
Der sah mit Unbehagen, daß das Glas mit Rotwein gefüllt war, und ihn überkam die Furcht, der Abend könnte wieder in einer Katastrophe enden.
»Das war doch selbstverständlich, Herr Professor.«
»Selbstverständlich? O nein, verehrter Freund, das ist überhaupt nicht selbstverständlich. Wie viele Personen waren vorgestern in der Galerie? Hundert? Hundertfünfzig? Aber nur einer hat sich dazu durchgerungen, mich in meinem erbärmlichen Zustand nach Hause zu bringen.«
»Ich habe Herrn Brodka darum gebeten«, versuchte Juliette die Sache herunterzuspielen. »Ich kenne ihn schon länger.«
Brodka und Juliette warfen sich einen kurzen Blick zu. Hatte Juliette eine unvorsichtige Bemerkung gemacht? Über das Gesicht des Professors huschte ein Schmunzeln.
Über den Tisch hinweg ergriff er Juliettes Hand. »Eine Frau zu haben, die das alles erträgt«, sagte er, »ist ebenfalls keine Selbstverständlichkeit.« Seltsamerweise schaute er dabei seinem Gast ins Gesicht.
Brodka war es peinlich; er wandte seinen Blick Juliette zu und nickte höflich.
»Sie sind nicht verheiratet?« fragte Collin, und erst jetzt ließ er Juliettes Hand los.
»Geschieden«, entgegnete Brodka, »seit zehn Jahren. Bei meinem Beruf ist es schwierig, eine anständige Ehe zu führen. Im übrigen habe ich viel zu jung geheiratet.«
»Herr Brodka ist Fotograf und Bildreporter«, fügte Juliette erklärend hinzu. »Er knipst die hübschen Mädchen in den Magazinen und macht große Bildreportagen in Bali, Kapstadt, New York … rund um den Globus. Nicht wahr, Herr Brodka?«
Brodka nickte, und der Professor bemerkte: »Interessant. Vermutlich gehören Sie zu den wenigen Menschen, die ihren Beruf lieben.«
»O ja«, erwiderte Brodka, »ich habe es noch keine Minute bereut, Fotograf geworden zu sein. Obwohl die meisten Menschen eine falsche Vorstellung von meinem Job haben. Er bedeutet harte Arbeit, auch wenn es nicht so aussieht. Man mißt meine Leistung immer nur an ihrem Ergebnis, wie in jedem anderen Beruf, und das Ergebnis hängt oft nicht von mir allein ab.«
Wie abwesend blickte der Professor in sein Glas, und ohne aufzusehen sagte er: »Die meisten Menschen hassen ihren Beruf und würden lieber heute als morgen etwas anderes tun.«
»Sie doch gewiß nicht, Herr Professor«, erwiderte Brodka.
Collin sah auf. »Wie kommen Sie darauf, Herr Brodka?«
»Nun, Ihr fachliches Können ist anerkannt. Sie gelten als Koryphäe auf Ihrem Gebiet.«
»Ach was.« Die Stimme des Professors klang beinahe ärgerlich. »Was heißt Koryphäe? Chirurgen werden an ihrem Mut gemessen, nicht an ihrem Wissen oder Können. In der Theorie könnte jeder meiner Assistenten eine Herzoperation vornehmen; aber ihnen fehlt der Mut. Und wie macht man sich Mut? Indem man so lange zusieht und assistiert, bis die Operation zur Routine wird, zur Selbstverständlichkeit, bis Ihr Innerstes dermaßen abgestumpft ist, daß Sie in einem zuckenden Herzen bloß noch einen faustgroßen Muskel sehen, der vielfachen Fehlleistungen und Verschleißerscheinungen unterworfen ist wie der Motor in Ihrem Auto, und nicht mehr den Menschen, der sein Leben Ihrer ärztlichen Kunst anvertraut. Wenn Ihre Gefühle so weit abgestumpft sind, dann sind Sie ein guter Chirurg.« Er nahm sein Glas und kippte den Rotwein in sich hinein. Schließlich fügte er hinzu: »Seien Sie versichert, mein Freund, Sie spielen den besseren Part von uns beiden.«
Brodka blickte betroffen, und Juliette, der die Ursache für Collins Alkoholismus nicht unbekannt war, versuchte das Thema zu wechseln. An ihren Mann gewandt, sagte sie: »Du solltest Herrn Brodka nicht zu sehr mit deinen Problemen langweilen. Ich glaube, er interessiert sich mehr für Kunst als für Chirurgie.«
»Ja, gewiß«, entschuldigte sich der Professor. »Ich fürchte nur, da kann ich nicht mitreden. Von
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