Purpurschatten
Sie damit?«
»Ganz einfach. Da ein Gemälde sich nicht von selbst verändert, es sei denn durch ein Wunder, wäre die einzige Erklärung für Ihre Beobachtung, daß es sich bei der Raffael-Madonna um eine Kopie handelt. Und wie Sie wissen, geschehen Wunder überall auf der Welt, nur nicht im Vatikan. Jedenfalls liegt das letzte vatikanische Wunder ein paar hundert Jahre zurück.«
Meinardi tat entrüstet. »Die Raffael-Madonna eine Fälschung? Nie! Nein, glauben Sie mir. Schreiben Sie in Ihrer Zeitung, ich habe mich geirrt.«
Sydow und Brodka schauten sich an. Beide hatten den selben Gedanken.
»Könnte es vielleicht sein«, begann Brodka, und in seiner Stimme lag etwas Drohendes, »daß Sie Ihre Meinung für Geld geändert haben? Oder für ein Versprechen? Oder wegen einer Drohung? Wurden Sie mit mehr oder weniger Nachdruck zu Ihrer Aussage gezwungen?«
Der alte Mann musterte Brodka von der Seite und erwiderte aufgebracht: »Denken Sie, was Sie wollen, aber lassen Sie mich jetzt in Frieden. Gehen Sie!«
Brodka und Sydow erhoben sich umständlich. Als Sydow noch etwas sagen wollte, wiederholte Meinardi lautstark: »Gehen Sie endlich.« Bevor er die Wohnungstür schloß, rief er: »Und hören Sie auf, irgendwelche Geschichten über mich zu verbreiten. Ich werde alles abstreiten! Alles!«
Schweigend stiegen die beiden Männer die Treppe hinunter.
Vor dem Haus, wo es in der Nachmittagshitze nach Staub und Moder roch, der aus Hinterhöfen und Kellerschächten hervorquoll, sagte Sydow: »Diese Reaktion hätten wir eigentlich erwarten können. Fragt sich, wie Meinardi reagiert hätte, wenn wir erklärt hätten, daß wir die Geldübergabe beobachtet haben.«
»Um Himmels willen! Dann wäre sein Mißtrauen noch größer geworden. Diesen Trumpf sollten wir in der Hinterhand behalten.«
»Sie haben recht.« Andreas von Sydow nickte.
In einem Laden kaufte er im Vorbeigehen eine Flasche Grappa. Als sie ein Taxi entdeckten, dessen Fahrer im Schatten einer Häuserwand Siesta hielt, trat Sydow hinzu und rüttelte den Schlafenden durch das offene Seitenfenster wach. »He, Arbeit wartet!«
Der Fahrer streckte und reckte sich; dann fragte er gähnend: »Wo soll's denn hingehen, Signori?«
» Città del Vaticano «, antwortete Sydow. »Presto!«
Am Cancello del Sant' Ufficio stiegen sie aus dem Taxi. Von dort war es nicht weit zum Campo Santo.
Sydow kannte in Rom Gott und die Welt. Natürlich verfügte er auch im Vatikan über gewisse Kontakte, die er sorgfältig pflegte, wie bei Zeitungsreportern üblich. Einer seiner Kontaktleute hieß Rosario, ein aus Arezzo stammender Postbeamter, der auf vielen Umwegen nach Rom gelangt war und im Vatikan eine Anstellung gefunden hatte.
Rosario war Faktotum in der Domus Sanctae Marthae , dem Gästehaus gegenüber der Sakristei von St. Peter, das die meiste Zeit des Jahres leersteht und den Kardinälen bei der Papstwahl als Unterkunft dient. Das fünfstöckige, moderne Gebäude verfügt über 132 Zimmer und Suiten und eine Eingangshalle mit pompösen Barockmöbeln, die über die Schlichtheit der Zimmer hinwegtäuschen. Was Rosario betraf, so teilte er sich in die Aufgabe eines Portiers, Verwalters und Hausmeisters; jedenfalls wußte er stets, wer gerade im Vatikan zu Besuch weilte. Er war für Sydow eine unbezahlbare Informationsquelle.
Das Haus der heiligen Martha beherbergte auch an diesem Tag keine Gäste, und Rosario, eine stattliche Erscheinung mit schwarzem, streng zurückgekämmtem Haar, zeigte sich erfreut über den Besuch, vor allem angesichts der Flasche Grappa, die Sydow ihm überreichte, nachdem er Brodka als einen lieben Kollegen vorgestellt hatte.
Die beiden Männer kannten sich seit Jahren. Deshalb wußte Rosario, daß Sydow eine Information benötigte; sonst hätte er ihm nicht so unverhofft einen Besuch abgestattet.
»Was kann ich für Sie tun, Professore ?« fragte Rosario. Er nannte Sydow › Professore ‹, eine Anrede, die er für gewöhnlich nur guten Freunden zukommen ließ und auch nur dann, wenn sie wie Sydow eine Brille trugen.
»Was weißt du über das mysteriöse Grab auf dem Campo Santo?« fragte Sydow ohne Umschweife.
Rosario lachte verlegen. »Wenn ich ehrlich bin, nichts – oder fast nichts.«
Sydow legte Rosario vertraulich eine Hand auf die Schulter und meinte: »Du wohnst nur ein paar Schritte vom Campo entfernt und willst mir weismachen, daß dir eine Beerdigung entgangen ist? Komm schon, Rosario, heraus mit der Wahrheit.«
» Professore
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