Purpurschatten
seinen Jahren entsprach, reagierte wütend. Er beschimpfte die Männer, sie sollten ihn endlich in Ruhe lassen. Seit Tagen werde er nun schon von der ›Bande‹ verfolgt, wie er sich ausdrückte, und alles nur wegen einer Geschichte, die sich inzwischen erledigt habe.
Sydow jedoch hatte viel zuviel Erfahrung in seinem Beruf, um sich durch solche Worte einschüchtern oder gar abweisen zu lassen. Er ging auf Meinardis Kritik ein und beteuerte, genau dies sei der Grund ihres Kommens; sie seien nur deshalb hier, um die Sache richtigzustellen.
Wie beabsichtigt wurde der alte Mann nachdenklich und fragte, ob sie auch wirklich vom ›Messaggero‹ kämen. Während Sydow seinen Ausweis zeigte, bat er, ob sie nicht eintreten dürften, und setzte dabei schon einen Fuß in die Tür.
Meinardi warf einen besorgten Blick ins Treppenhaus; dann bat er Sydow und Brodka in die Wohnung, wobei er Entschuldigungen stammelte, daß nicht aufgeräumt sei; aber er sei nicht auf Besuch eingerichtet.
Die Wohnung des alten Mannes bestand aus einem langen, unbeleuchteten Flur, von dem rechter Hand drei braungestrichene Türen abgingen. Die letzte führte zu einem Kabinett mit altem Mobiliar, von dem kein Stück zum anderen paßte. Es gab nur zwei runde, niedrige Fenster, die wie Bullaugen eines Schiffes zur Straße wiesen. Die Wände waren mit zahlreichen Drucken beklebt, die vorwiegend Werke Raffaels zeigten, doch waren auch andere Motive aus den Vatikanischen Sammlungen darunter.
Um den Besuchern Platz anbieten zu können, mußte Meinardi erst ein paar hölzerne Tischchen, Kästen und Notenständer beiseite rücken; dann ließen Sydow und Brodka sich auf einer durchgesessenen Ottomane nieder.
»Sie sagten«, begann Sydow, während Meinardi nach einem Stuhl suchte, »die Geschichte habe sich inzwischen erledigt. Was meinten Sie damit?«
Umständlich, um Zeit zu gewinnen, rückte Meinardi einen schwarzgelackten Holzstuhl mit hoher Lehne und gedrechselten Holmen zurecht; dann erwiderte er ebenso umständlich: »Nun ja, Signori, wie soll ich es Ihnen am besten erklären? Es ist wirklich eine unangenehme Sache und hat mir nur Scherereien eingebracht. Eigentlich will ich gar nicht mehr darüber reden.«
»Sie wollen doch nicht etwa behaupten«, meldete Brodka sich zu Wort, »daß Ihre Beobachtung an dem Raffael-Gemälde ein Irrtum war?«
»Ja. Leider.«
Brodka schaute sich im Zimmer um und betrachtete die zahllosen Kunstdrucke an den Wänden. Schließlich meinte er: »Ein Mann, der ein so enges Verhältnis zu seinen Gemälden hat, irrt sich doch nicht, Signore. Sie kennen Raffael gewiß besser als jeder Professore .«
Die Worte Brodkas schmeichelten dem Alten; man konnte es ihm deutlich ansehen. Doch unverkennbar focht er zugleich einen inneren Kampf aus. Nachdem die beiden Männer ihn in Erwartung einer Antwort längere Zeit gemustert hatten, sagte Meinardi verschämt: »Mag schon sein. Vierzig Jahre tagtäglich mit denselben Gemälden im selben Raum, das ist eine lange Zeit. Da beginnen Sie irgendwann zu zweifeln, ob dieses oder jenes Detail schon immer so war, wie es ist. Schauen Sie, ich bin alt, und meine Augen sind auch nicht mehr die besten. Ganz zu schweigen von meinen kleinen grauen Zellen. Da bildet man sich schon mal etwas ein, das man später bereut.«
»Aber Signore«, wandte Sydow ein, »Sie haben doch nichts zu bereuen. Sie haben bloß eine Beobachtung gemacht.«
»Ja, aber ich habe mich geirrt. Und dieser Irrtum hatte katastrophale Folgen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich wurde in Rente geschickt, und die Zeitungen schrieben, ich wäre nach vierzig Jahren Aug' in Aug' mit Raffael verrückt geworden. Mir ist zu Ohren gekommen, daß man mich sogar entmündigen will.«
»Wer sagt das?« fragte Brodka.
Bemüht, keinen Namen zu nennen, druckste Meinardi herum. »Meine Vorgesetzten, wissen Sie. Jedenfalls habe ich davon gehört. Nein, es ist so, wie ich sagte: Ich war einfach mit den Nerven herunter. Mein Blutdruck ist auch nicht der beste. Ich sollte wirklich einen Arzt aufsuchen. Schreiben Sie, ich hätte meinen Irrtum eingesehen und begäbe mich in ärztliche Behandlung.«
»Signore!« rief Sydow. »Es ist ein gefährliches Spiel, auf das Sie sich da einlassen. Wenn Sie erst mal bei einem Psychiater waren, wird der Sie für unzurechnungsfähig erklären, und was das bedeutet, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Ich halte es für besser, wenn Sie bei der Wahrheit bleiben – mit allen Konsequenzen.«
»Was meinen
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