Purpurschatten
deutlich, daß der Pförtner den aufgetragenen Text nur nachplapperte. Er kannte die Zusammenhänge nicht und sah offenbar selbst nicht ein, aus welchem Grund der Aufenthalt des Mitbruders verschwiegen werden sollte.
»Hören Sie, Padre«, sagte Sydow, womit er dem jungen Frater offensichtlich schmeichelte, »mein Freund ist ein Neffe von Padre Theodorus und eigens den langen Weg aus Deutschland gekommen, um ihn zu sehen. Können Sie uns nicht wenigstens einen kleinen Hinweis geben?«
Der Pförtner überlegte. Dann lehnte er sich aus seiner Pforte und sagte leise, beinahe im Flüsterton: »An Ihrer Stelle würde ich es zuerst in San Zaccaria versuchen, einem entlegenen Ort in den Sabiner Bergen. Dort gibt es ein Kloster für alte und pflegebedürftige Ordensbrüder.«
Brodka verstand genau, was der Bruder ihnen damit sagen wollte; doch er tat entrüstet: »Padre Theodorus ist doch nicht pflegebedürftig! Er ist vielleicht etwas sonderbar, was mit seinem schweren Unfall zu tun haben mag. Doch deshalb muß er doch nicht in ein Heim gesteckt werden!«
Der Pförtner hob beide Hände, um Brodka zu beruhigen. »Es ist ja auch kein Heim, sondern ein Kloster für Ordensbrüder, die Probleme haben, sich in die Gemeinschaft einzufügen. Im übrigen, Signore, habe ich nicht behauptet, daß Padre Theodorus sich dort aufhält.«
»Stimmt«, erwiderte Brodka augenzwinkernd. »Trotzdem vielen Dank.«
Immerhin hatten sie jetzt eine Spur von dem offenbar einzigen Zeugen der geheimnisvollen Bestattung. Aber gleichzeitig keimte ein furchtbarer Verdacht auf.
In einem Café, zwei Straßen weiter, tranken die beiden einen Espresso im Stehen und beratschlagten, wie sie weiter vorgehen wollten.
Sydow rührte nachdenklich in seinem winzigen Täßchen. »Sie haben doch mit diesem Theodorus geredet. Welchen Eindruck hatten Sie von ihm?«
»Er kam mir merkwürdig vor. Zum einen war er redselig und nahezu begierig, seine Krankheitsgeschichte zu erzählen, doch auf alle Fragen nach dem Grab auf dem Campo Santo hat er gemeint, er könne sich an überhaupt nichts erinnern. Aber daß er verwirrt gewesen wäre, kann ich nicht behaupten. Ich hatte eher den Eindruck, er wußte genau, worum es ging, aber wollte oder durfte es nicht sagen.«
Sydow kippte den Espresso mit einem einzigen Schluck hinunter. Dann murmelte er halblaut vor sich hin: »Wir haben einen Zeugen. Wir wissen, wo er sich aufhält. Vermutlich unfreiwillig. Frage eins: Wie kommen wir an ihn heran? Frage zwei: Wie bringen wir ihn zum Reden?«
Brodka beobachtete den Verkehr, der um diese Zeit hektisch wurde. Es dämmerte, und die ersten Leuchtreklamen und Autoscheinwerfer flammten auf.
Wie bringen wir ihn zum Reden, wiederholte Brodka in Gedanken Sydows Frage.
Morgens um acht stieg Juliette aus dem Bett, um die Fensterläden zu öffnen. Der Nemisee lag noch im Dunst, und es schien ein warmer Tag zu werden. Dann kroch sie zu Brodka ins Bett zurück. Der schlief noch fest.
Erst kurz vor Mitternacht war er aus Rom zurückgekehrt, und sie hatten seither kaum ein Wort gewechselt. Die Recherchen seien erfolgreich gewesen, hatte er gesagt. Mehr nicht. Dann war er eingeschlafen.
Nun schmiegte Juliette sich an ihn. Der Morgen war die beste Zeit für die Liebe. Mit dem Zeigefinger vollführte sie kleine kreisende Bewegungen, vom Hals über Brustkorb und Bauch bis zwischen die Schenkel, und entlockte so dem Schlafenden wollüstige, grunzende Laute.
Als sie seinen Penis in die Hand nahm, schlug Brodka die Augen auf und fragte: »Wie spät ist es?«
Juliette war schockiert. Seit sie sich kannten – und das waren immerhin dreieinhalb Jahre –, hatte sie eine solche Reaktion bei Brodka nicht erlebt.
»Wie spät ist es?« wiederholte er.
Juliette setzte sich auf und wandte den Blick aus dem Fenster über den Weinberg. »Acht!« sagte sie beleidigt.
Brodka küßte sie auf die nackte Schulter. »Um Himmels willen, ich muß aufstehen. Um neun kommt Sydow.«
Verärgert meinte Juliette: »Kommt dieser Sydow jetzt schon zum Frühstück?«
»Was soll diese spitze Bemerkung? Wir wollen nach San Zaccaria in den Sabiner Bergen. Man hat den Mönch vom Campo Santo dorthin gebracht. Er ist der einzige für uns greifbare Augenzeuge der Beerdigung.«
»So, so. Und wohin soll morgen der Ausflug mit deinem neuen Freund gehen?«
Brodka faßte Juliette an den Schultern. »Du vergißt, daß wir hier nicht auf Urlaub sind. Auch wenn es in dieser Umgebung schwerfällt, sich damit
Weitere Kostenlose Bücher