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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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passiert – zu viel, das selbst einen abgeklärten Mann wie Brodka aus der Bahn werfen konnte.
    Nach einer Weile fing er sich wieder und machte sich daran, planlos in den Fächern und Schubladen zu wühlen. Keine Dokumente, keine Briefe. Nur Kontoauszüge und Bankgeschäfte schienen im Leben seiner Mutter eine Rolle gespielt zu haben. Bei oberflächlicher Durchsicht entdeckte Brodka Konten von mehr als einer halben Million, doch was ihn noch mehr verblüffte und seine Neugier weckte, war ein doppelbärtiger Schlüssel, wie er bei Bankschließfächern benutzt wurde.
    Brodka nahm den Schlüssel an sich; dann löschte er das Licht und verließ die geisterhafte Wohnung.
    Die Bank seiner Mutter befand sich, wie Brodka den Unterlagen entnommen hatte, nicht weit entfernt in derselben Straße. Der Bankdirektor, ein jugendlicher Karrieretyp, der sich durch einen tadellosen anthrazitfarbenen Zweireiher, vermutlich sogar durch Abitur auszeichnete, prüfte Brodkas Ausweis gewissenhaft. Er bestätigte auch, daß Claire Brodka bei der Bank mehrere Konten und ein Schließfach unterhalten habe. Beim Gespräch über die Vermögensverhältnisse seiner Mutter erfuhr Brodka, daß das Haus, in dem sich ihre Wohnung befand, ihr selbst gehörte und jeden Monat zwanzigtausend Mark abwarf. Ob er der einzige Erbe sei? Als Brodka bejahte, fühlte der Zweireiher sich bemüßigt, ihn zu beglückwünschen und seiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen, das Finanzamt möge nicht allzu rabiat mit ihm umgehen – so pflegte er sich auszudrücken. Trotz seiner beinahe peinlich zur Schau gestellten Höflichkeit, lehnte der Bankmensch Brodkas Wunsch, das Schließfach zu öffnen, mit Entschiedenheit ab. Dazu – und für den Zugang zu sämtlichen Konten – benötige er zuerst einen Erbschein, der jedoch vom Nachlaßgericht rasch und problemlos ausgestellt werde.
    Der rasche und problemlose Vorgang bei der Behörde dauerte einen ganzen Tag. Mit dem Dokument in der Tasche suchte Brodka am nächsten Tag erneut die Bank in der Prinzregentenstraße auf.
    Wieviel Geld er abzuheben gedenke, erkundigte sich der überfreundliche Bankdirektor und war erstaunt, als Brodka erwiderte, er wolle überhaupt kein Geld abheben. Was, wie der verwunderte Direktor entgegnete, höchst ungewöhnlich sei in einem Fall wie diesem. Anscheinend hatten sich die meisten Erben, die er kennengelernt hatte, erst einmal kräftig bedient.
    Nein, antwortete Brodka, er wolle nur den Inhalt des Schließfaches kontrollieren, mehr nicht. Dabei tat er, als wüßte er genau, was sich in dem Fach befand.
    Gemeinsam betraten sie das Untergeschoß, wo der Bankdirektor ein Gittertor aufsperrte und Brodka zu einer eisernen Wand mit Hunderten von Schließfächern geleitete. Vor Nummer 747, in Brusthöhe gelegen, blieb er stehen, schob einen Schlüssel ins Schloß und öffnete eine Tür. Wortlos und diskret zog er sich in den vor dem Gitter gelegenen Vorraum zurück, wo er an einem kahlen Schreibtisch Platz nahm und wartete, den Blick abgewandt.
    Brodka zog eine Kassette aus dem Fach. Mit seinem Schlüssel öffnete er den Deckel. Er spürte, wie seine Hände zitterten; er hatte keine Ahnung, was seine Mutter hier unter Verschluß hielt. Vielleicht Schmuck aus Angst vor Dieben oder irgendwelche Dokumente, die niemand sehen durfte?
    Doch er wurde enttäuscht. In der Kassette lag nur eine alte Fotografie, gerade so groß wie eine Postkarte, vergilbt und zerknickt. Das Foto zeigte seine Mutter in inniger Umarmung mit einem Mann. Was Claire Brodka betraf mochte sie auf dem Bild etwa zwanzig sein, der Mann ein wenig älter.
    Den Mann kannte Brodka nicht, er hatte ihn nie gesehen, doch gab es für ihn keinen Zweifel, daß dieser Mann sein Vater sein mußte. Er sah nicht besonders gut aus; doch das Foto mußte aus den fünfziger Jahren stammen, und es war arg verschlissen. Und irgendeine Ähnlichkeit vermochte er schon gar nicht auszumachen.
    Warum in aller Welt, fragte sich Brodka, bewahrte seine Mutter dieses Foto in einem Tresor auf? Brodka fühlte sich von dem Mann am Schreibtisch beobachtet und bemühte sich, seine innere Erregung zu verbergen. Deshalb legte er das Bild in die Kassette zurück, verschloß sie und gab dem Bankdirektor ein Zeichen, daß er fertig sei.
    Die nächsten Tage verbrachte Brodka damit, Licht in das Dunkel seiner Vergangenheit zu bringen – einer Vergangenheit, die ihn bisher wenig interessiert hatte. Im Gegenteil hatte er stets jeden Gedanken an seine Herkunft verdrängt, als

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