Purpurschatten
eine Frucht mit dem Baumstamm; er sah aus wie Kaiser Franz Joseph persönlich, und wäre er nicht ein so eilfertiger, allgegenwärtiger Portier gewesen, man hätte ihn für einen Schauspieler halten können, der hier in einem Film mitwirkte.
Auf Befragen erfuhr Brodka, daß der Portier weder mit Herr Franz noch Herr Josef und schon gar nicht mit Herr Franz-Josef angeredet zu werden wünschte, sondern schlicht Herr Erich, was seiner epochalen Erscheinung jedoch keinen Abbruch tat.
Trotz dieses distinguierten Auftretens war sich der Portier nicht zu fein, die Kleidung des Gastes mit scharfen Blicken zu mustern, wobei sein besonderes Interesse Brodkas Rolex zu gelten schien. Herr Erich teilte die Gäste des Hotels – wie sämtliche Menschen – in zwei Kategorien ein: Leute mit und ohne Geschmack. Er behauptete, den wahren Geschmack eines Menschen könne man einzig und allein an seiner Uhr ablesen. Jedenfalls verachtete er Leute mit diesen batteriebetriebenen Dingern am Handgelenk; er bezeichnete dies sogar als Sittenverfall. Natürlich nur im privaten Gespräch; im Dienst hätte Herr Erich nie gewagt, sich über die Gäste auszulassen.
Nachdem Brodka seine Anmeldung ausgefüllt hatte, fuhr er mit dem Lift in sein Zimmer im vierten Stock und zog sich um.
Mit hochgeschlagenem Mantelkragen trat er vor das Hotel. Es hatte zu schneien aufgehört, und Brodka ging zu Fuß die Akademiestraße hinunter in Richtung Stephansdom. In einer Seitenstraße bog er links ab. Ein grün beleuchtetes Schild machte ihn auf ein Restaurant aufmerksam. Brodka aß ein scharfes Herrengulasch, das sich durch langfaseriges Rindfleisch auszeichnete, mit einem Spiegelei bedeckt, und trank dazu ein Krügerl Bier. Dann kehrte er ins Hotel zurück.
Es war kurz nach 21 Uhr und zum Schlafen noch zu zeitig. Deshalb besuchte Brodka die im Zwischengeschoß befindliche Hotelbar, nahm in der Mitte vor dem Fenster unter dem Kronleuchter Platz, bestellte einen Whisky und schaute zur Tür, als erwarte er jemanden. In Wahrheit war sein Blick ins Leere gerichtet. Wieder einmal dachte er darüber nach, wie er die Situation, in die er geraten war, bewältigen konnte – und kam natürlich zu keinem Ergebnis.
Im Hintergrund klimperte ein Klavierspieler ›Night and Day‹ mit hundertfach erprobter Routine, und drei alterslose Japaner am Nebentisch freuten sich fernab heimischer Förmlichkeit ihres Lebens. Ein altes Ehepaar zelebrierte mit Vornehmheit und Sekt seinen Hochzeitstag – dem Aussehen der beiden nach die Goldene Hochzeit –, unentwegt beobachtet von einer – ebenfalls dem Aussehen nach – reichen Witwe an einem der Nebentische. Reiche Witwen in Hotelbars sind etwas Schlimmes.
Gleichgültig beobachtete Brodka eine Geschäftsfrau, die lächelnd durch die Tür trat. Sie trug ein schwarzes Kostüm und schwarze Strümpfe und ein unverschämt anziehendes Selbstbewußtsein zur Schau. Obwohl, wie Brodka später feststellte, noch zwei der kleinen runden Tische frei waren, fragte sie höflich, mit zur Seite geneigtem Kopf ob es gestattet sei.
Für gewöhnlich hätte Brodka auf eine Frage wie diese vermutlich geantwortet: Was? Aber die Frau war einfach zu hübsch, um so zu reagieren, und das Risiko zu groß, daß sich im nächsten Augenblick irgendein Dampfplauderer zu ihm gesellte.
Also erhob er sich, freundlich nickend, und schob der fremden Frau einen Sessel zurecht. Die bestellte einen Manhattan, schlug die Beine übereinander, zündete sich eine Zigarette an und sagte, nachdem der Glimmstengel bereits die Luft verpestete: »Sie erlauben?«
Auf eine Frage wie diese pflegte Brodka stets mit einem schlichten Nein zu antworten; er haßte Zigarettenrauch. Aber in diesem besonderen Fall wollte er eine Ausnahme machen, um sich nicht gleich alle Sympathien zu verscherzen, und antworten: Bitte! Doch bevor es dazu kam, nahm die Schöne ihre gerade erst angezündete Zigarette, drückte sie im Aschenbecher aus und sagte, wobei sie Brodka in die Augen schaute: »Sie haben völlig recht. Rauchen ist ohnehin blödsinnig. Ehrlich gesagt, rauche ich nur aus Verlegenheit.«
So kam eine angenehme Unterhaltung in Gang, bei der jeder ein Stückchen Leben des anderen zu ergründen suchte, und nach gut einer Stunde wußte Brodka immerhin ihren Namen, Beruf und Familienstand – das Alter konnte man schätzen; sie war vielleicht 35 –, und er hatte seinerseits ebensoviel preisgegeben. Sie hieß Nora Molnar, war PR-Agentin für eine Sportswear-Firma und
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