Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten
Autoren: Philipp Vandenberg
Vom Netzwerk:
sei es etwas Schmutziges, Verderbtes, sich damit auseinanderzusetzen. Zumindest hatte seine Mutter ihm diesen Eindruck vermittelt. Aber je länger er über seine Kindheit nachdachte, die sich vor allem im Internat abgespielt hatte, desto deutlicher wurde ihm, wie wenig er seine Mutter kannte und wie aussichtslos der Versuch war, mehr über jene Zeit in Erfahrung zu bringen.
    Die ganzen Jahre war er gut ohne Vergangenheit ausgekommen. Er hatte seine Begabung früh erkannt und wußte schon mit vierzehn genau, was er wollte. Nun hatte er alles erreicht, ohne daß jemand ihm dabei geholfen hätte oder daß seine Vergangenheit ihm auf irgendeine Weise hilfreich gewesen wäre. Doch plötzlich, von einem Tag auf den anderen, hatte ihn diese unbekannte Vergangenheit eingeholt. Seine Gleichgültigkeit, seine Sorglosigkeit hatten sich mit einem Mal ins Gegenteil verkehrt. Es schien, als verfolgte er sich selbst, als wollte er versuchen, seinen eigenen Schatten zu fangen.
    Gewiß, das nicht unerhebliche Vermögen seiner Mutter kam ihm nicht ungelegen. Geld bedeutet Freiheit. Und für Brodka bestand Freiheit darin, nicht jeden Auftrag annehmen zu müssen, nicht Geld verdienen zu müssen, sondern zu können. Er würde nur noch Bildreportagen machen, die ihn interessierten, egal ob sich ein Magazin fand, das seine Arbeiten veröffentlichte. Dennoch hätte er gern auf diese neu gewonnene Freiheit verzichtet, wären ihm die unheimlichen Geschehnisse der letzten Tage erspart geblieben.
    Brodka fühlte sich nicht mehr sicher in seiner Wohnung hoch über den Dächern der Stadt, in der er im Laufe der Jahre unterschiedlichstes Mobiliar angesammelt hatte. Selbst der endlose Blick von der Dachterrasse auf die Alpenkette erschien ihm getrübt. Er wußte, daß irgend jemand sich in seiner Abwesenheit Zutritt zu der Wohnung verschafft und den Anrufbeantworter gelöscht hatte. Es war, als hätte jemand seine Intimsphäre verletzt und als hätte er, Brodka, dadurch die Kontrolle über sein Leben verloren. Zwar hatte er inzwischen das Schloß auswechseln lassen, aber sicherer fühlte er sich trotzdem nicht.
    Sogar das Telefon jagte ihm einen Schrecken ein. Es war Dorn, der Chefredakteur von ›News‹, der ihm eine Reportage in Wien anbot. Brodka nahm an. Er war froh um den Auftrag; denn er sah darin die Möglichkeit, zumindest für ein paar Tage dem Teufelskreis zu entfliehen, in dem er sich gefangen fühlte.

K APITEL 3
    Es gibt Städte, die einer ganz bestimmten Jahreszeit bedürfen, um schön zu sein. Rom braucht den Frühling; im Sommer ist die Stadt scheußlich. London dagegen zeigt seine Schönheiten nur im Sommer. In Prag ist der Herbst am schönsten und in Kairo der Winter.
    Nur Wien weiß zu jeder Jahreszeit zu gefallen, sogar im nassen Herbst und im kalten Winter, wenn das Morbide dieser Stadt Triumphe feiert.
    Brodka kannte jede dieser Städte ziemlich gut, doch Wien mochte er mehr als alle anderen. Das Taxi, das ihn vom Flughafen Schwechat zum Grand Hotel brachte, geriet am Donaukanal in einen Stau, wobei der Fahrer fachkundige Kommentare von sich gab, die in der Erkenntnis gipfelten: »Ka Wunder, daß ma' hier steh'n, wann's dauernd alle Straß'n aufreiß'n.« Wie allen Österreichern war auch dem Taxifahrer ein schlichtes Leiden Lebensinhalt, während die Deutschen meist mit Größenwahn oder Minderwertigkeitskomplexen zu kämpfen haben.
    Es war sechzehn Uhr und beinahe dunkel, und der Nieselregen, der diese Stadt zu verzaubern vermag, ging in Schnee über. Brodka nickte geistesabwesend bei jedem weiteren Kommentar des Fahrers. In Gedanken war er längst bei seinem Auftrag, der Erfolgsstory eines Autorennfahrers, der nach dem Ende seiner sportlichen Karriere eine Fluggesellschaft gegründet hatte. Zwei volle Tage waren veranschlagt: Fototermine am Flughafen, in der Konzernzentrale und in der Villa des Mannes außerhalb der Stadt. Für Brodka Routine.
    An der Aspernbrücke bog das Taxi nach links ab und fuhr den Ring entlang. Die Fassade des Hotels in Sichtweite der Oper, einem Juwel der Ringstraßen-Architektur, war hell erleuchtet. Brodka stieg nicht zum erstenmal in diesem Hotel ab, und als er durch die gläserne Drehtür die lichtdurchflutete Halle betrat, begrüßte der Portier ihn von weitem mit jenen Floskeln, die sämtlichen Hotelportiers auf der Welt eigen sind. Doch dieser Portier, dessen Namen Brodka zwar vergessen, dessen Äußeres er jedoch im Gedächtnis behalten hatte, schien mit dem Hotel verwachsen zu sein wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher