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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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treffen; aber es war Vormittag, und um diese Zeit war ihr Mann mit ziemlicher Sicherheit in der Klinik.
    Als sie die Haustür aufschloß, schlug ihr ein unangenehmer Geruch entgegen. Es roch, als wäre das Haus wochenlang nicht gelüftet worden. Im Salon türmten sich zwei Haufen Kleidungsstücke; es dauerte eine Weile, bis Juliette erkannte, daß es sich um ihre eigenen Kleider handelte.
    Sie eilte in ihr Schlafzimmer im ersten Stock. Schranktüren und Schubladen standen offen. Hier hatte ein Wahnsinniger gewütet. Oder ein Betrunkener.
    Bei diesem Anblick überkam Juliette eine unsagbare Wut. Sie rannte die Treppe hinunter, stürmte zum Telefon und bestellte ein Taxi.
    Der Fahrer wußte nicht, wie ihm geschah, denn die wütende Frau feuerte ihn zur Eile an, als ginge es um ihr Leben. Vor der Collinschen Klinik angekommen, steckte Juliette dem Fahrer einen Schein zu, sprang aus dem Wagen und vergaß sogar die Tür zu schließen. Dann stürmte sie in die Klinik.
    Die Sekretärin im Vorzimmer sprang auf, als sie die Frau des Chefs kommen sah, brachte aber keinen Laut hervor. Juliette riß die Tür des Chefzimmers auf. Collin war nicht da.
    Sie machte kehrt, wandte sich an die Sekretärin und fragte mit frostiger Stimme: »Wo ist er?«
    Die Frau schluckte und wandte den Blick ab. Mühsam brachte sie hervor: »Es tut mir schrecklich leid, aber …« Ihre Stimme versagte.
    Juliette, die hinter der Schweigsamkeit der Frau eine Anordnung Collins vermutete, fuhr die Vorzimmerdame an: »Ich will wissen, wo mein Mann ist, verdammt noch mal!«
    Die Sekretärin fand endlich die Sprache wieder und murmelte verschüchtert: »Folgen Sie mir bitte.« Sie führte Juliette über die Treppe in den dritten Stock bis vor eine Tür am Ende eines Korridors.
    Juliette schlug mit der Hand auf die Klinke. Die Tür flog auf, und sie stürmte ins Zimmer.
    Sie hatte sich nicht die geringsten Gedanken gemacht, was sie hinter der Tür erwarten würde. In ihrer Wut sah sie nur Collins Gesicht vor sich, hämisch grinsend wie stets in solchen Situationen.
    Nun aber fuhr Juliette der Schreck durch alle Glieder. Collin saß in einem Rollstuhl. Sein Kopf war mit langen, funkelnden Schrauben aus Stahl fixiert und steckte in einer Art Schraubstock. In starrer Haltung wie eine ägyptische Statue blickte er auf Juliette. Es war ein fürchterlicher Anblick.
    »Mein Gott!« stieß Juliette entsetzt hervor.
    Offenbar von der Sekretärin seines Chefs alarmiert, betrat Collins Oberarzt den Raum, begleitet von einer Krankenschwester. Er nahm Juliette am Arm und bat sie, ihm zu folgen, doch Juliette riß sich los. »Was ist mit meinem Mann?« fragte sie. »Was ist passiert?« Sie blickte Collin an. »Hinrich, so sag doch etwas!«
    Der Professor warf dem Oberarzt einen Blick zu und kniff die Augenbrauen zusammen, als wollte er etwas erwidern.
    Doch an Collins Stelle entgegnete der Oberarzt: »Ihr Mann hatte einen schweren Autounfall. Er ist vom Hals abwärts gelähmt.«
    »Gelähmt?« Juliette trat einen Schritt auf Collin zu und blickte ihm ins Gesicht. »Was ist passiert, Hinrich?« fragte sie zaghaft.
    »Er kann nicht sprechen«, sagte der Oberarzt. »Aber sein Gehör ist intakt.«
    »Ein Autounfall, sagten Sie?« fragte Juliette.
    Der Oberarzt nickte.
    Juliette schaute ihn an. »War er betrunken?« meinte sie, mit einem Blick auf ihren Mann.
    Der Arzt schwieg.
    »Armer Kerl.« In diesen beiden Worten lag das einzige Gefühl, das sie im Augenblick für Collin empfand: Mitleid.
    Umsichtig führte der Oberarzt Juliette aus Collins Zimmer. Während sie über den langen Korridor gingen, suchte der Doktor nach tröstenden Worten. Schließlich sagte er: »Er hat darauf bestanden, in seiner eigenen Klinik behandelt zu werden. Dabei sind wir für so schwere Fälle gar nicht eingerichtet. Natürlich weiß er das; aber er sträubt sich gegen die Verlegung in eine Spezialklinik. Sie kennen ihn ja. Wenn er sich etwas in den Kopf setzt …«
    »Und er wird nie mehr laufen können?« Juliette blieb stehen.
    »Ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen machen. Es ist schlimmer als das. Der Professor wird den Rest seines Lebens in dem Gestell verbringen müssen, das Sie gesehen haben. Sein Körper muß auf dem Rollstuhl angeschnallt und der Kopf festgeschraubt werden. Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen.«
    Nicht einmal die harte Wahrheit ließ in Juliette das Gefühl aufrichtiger Anteilnahme aufkommen, und sie haßte sich dafür. Nie hätte sie geglaubt, daß ihre

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