Purpurschatten
gebeten.«
»Und? Hast du ihm welches geschickt?«
»Nein, keine Lira. Weißt du etwas Neues?«
»Soweit mir bekannt, hat er seinen Auftrag immer noch nicht erfüllt. Er ist ein Trottel; aber vielleicht kann er uns noch einmal nützlich sein. Er ist ein verdammt guter Schütze.«
Von San Giovanni schlug die Turmuhr.
Anastasia schlüpfte eilig in ihren Hausmantel. »Es ist neun«, sagte sie. »Höchste Zeit, wenn du meinem Sängerknaben nicht über den Weg laufen willst.«
Smolenski nickte. Er zupfte sich seine silbergraue Krawatte zurecht; dann öffnete er seinen Aktenkoffer, holte ein Bündel abgezählter Scheine hervor und legte es mit beiden Händen neben den Leuchter.
Und wie jeden Dienstag trat daraufhin Anastasia auf Smolenski zu, beugte ein Knie, nahm seine rechte Hand und küßte den Ring des Kardinals.
Mit Wohlgefallen nahm Smolenski die Huldigung entgegen.
Die Morgensonne spitzte durch das Fenster im Albergo Waterloo, als Juliette erwachte. Sie hatten bis in die späte Nacht geredet, Theorien entworfen und verworfen und am Ende festgestellt, daß sie keinen Schritt weitergekommen waren.
Die Annahme, Brodkas Mutter könnte auf dem Campo Santo neben der Peterskirche begraben worden sein, erschien unglaublich, ja widersinnig, und doch gab es deutliche Hinweise. Der alte Kammerdiener mußte irgend etwas gewußt haben.
Als ihre Hand nach Brodka suchte, bemerkte Juliette, daß das Bett neben ihr leer war. Dann aber wurde ihr klar, wo sie ihn suchen mußte. Sie zog sich an, trank im Frühstücksraum eine Tasse Kaffee und machte sich auf den Weg zum Vatikan.
Auf dem Petersplatz war es noch ruhig. Nur vereinzelt hallten Stimmen über das weite Rund. Ein paar eilige Nonnen hasteten über das Pflaster.
Der deutsche Friedhof lag verlassen im Schatten hohen Mauerwerks. Vogelgezwitscher war zu vernehmen.
Juliette hatte sich nicht getäuscht. Brodka saß in der hintersten Ecke des Campo. Er hielt den Blick wie in Trance gen Himmel gerichtet. Als er Juliettes Schritte hörte, wandte er sich ihr zu.
»Ich dachte mir schon, daß ich dich hier finde«, sagte Juliette.
Brodka nickte. »Ich konnte nicht schlafen. Mir sind zu viele Gedanken durch den Kopf gegangen. Kurz nach Sonnenaufgang bin ich aufgestanden und hierher gefahren. Entschuldige, daß ich dir keine Nachricht hinterlassen habe.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Sag mir lieber, was du jetzt tun willst.«
Brodka blickte auf die Uhr, erhob sich und sagte: »Komm.« Dann nahm er ihre Hand.
Sie traten durch das Steinportal ins Freie. »Es muß doch einen Küster geben«, meinte Brodka, »irgend jemanden, der für den Campo Santo zuständig ist.«
Im Informationsbüro in den südlichen Kolonnaden erfuhren sie, daß der Friedhof außerhalb der Zuständigkeit der Verwaltung des Vatikans liege; allein das Deutsche Kolleg sei für den Campo Santo verantwortlich. Also kehrten sie an ihren Ausgangsort zurück und trafen in einem kahlen Raum mit weiß getünchten Wänden auf einen Kapuzinermönch. Er trug eine braune Kutte und die Frisur eines Cäsaren und saß an einem Holztisch, dem einzigen Möbelstück. Er sprach mit süddeutschem Akzent; auf Brodkas dahingehende Frage erklärte der Mann, er käme aus dem Kloster St. Konrad im bayerischen Altötting, wo er zu seinem Leidwesen, wie er sich ausdrückte, einst die Bibliothek geleitet habe. Dann erkundigte er sich, was er für sie tun könne.
Brodka erklärte, es handle sich um das neu errichtete Grab auf dem Campo Santo, das die Initialen › C.B. ‹ trage, und bat um Auskunft, wer darin bestattet sei.
Der eben noch gesprächige Mönch erklärte sich mit einem Mal als nicht zuständig für Auskünfte dieser Art und verwies obendrein auf sein schlechtes Gedächtnis, an dem er seit einem Unfall leide, bei dem sein Schädel unliebsame Bekanntschaft mit einer Autotür gemacht habe. Die Ärzte hätten ihm – er pochte sich mit dem Knöchel auf den Kopf – eine Platte aus Silber in die Schädeldecke eingesetzt, was aber nichts daran geändert habe, daß sein Gedächtnis deutliche Ausfallerscheinungen zeige. Sie sollten sich an das Informationsbüro wenden.
Brodka seufzte tief und erklärte dem Kapuziner, sie seien vom Informationsbüro hierher geschickt worden; also müsse er doch wissen, wer jüngst auf dem Campo bestattet worden sei.
Der Mönch, wie alle Kanzelredner ein schlechter Schauspieler, tat so, als würde er nachdenken. Dann erwiderte er, daß er sich nicht erinnern könne. Es sei
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