Pusteblume
ausgeschöpft habe, kann ich es auch ruhig anziehen.«
»Aber du hattest sie schon ausgeschöpft.«
»Nein, nein«, erklärte Tara ernsthaft. »Ich hatte sie nur bis zum offiziellen Limit ausgeschöpft. In Wirklichkeit ist es ungefähr zweihundert Pfund darüber. Aber das weißt du doch!«
»Schon«, sagte Katherine nicht ganz überzeugt.
Tara nahm die Speisekarte. »Oh, Mann«, stöhnte sie, »das hört sich alles so köstlich an. Lieber Gott, gib mir die Kraft, keine Vorspeise zu bestellen. Obwohl ich einen Riesenhunger habe und ganze Wagenladungen verschlingen könnte!«
»Wie kommst du mit der Diät klar, bei der nichts verboten ist?« fragte Katherine, obwohl sie die Antwort schon erraten konnte.
»Gar nicht mehr«, sagte Tara und blies mit beschämter Miene den Rauch aus.
»Macht auch nichts«, tröstete Katherine sie.
»Genau.« Tara war erleichtert. »Überhaupt nichts. Thomas war außer sich, das kannst du dir ja vorstellen. Aber, ich meine, eine Diät, bei der man einem Vielfraß wie mir sagt, daß nichts verboten ist. Da ist das Unheil vorprogrammiert.«
Katherine gab beschwichtigende Laute von sich, wie sie das seit fünfzehn Jahren machte, wenn Tara von ihrer nicht zu zügelnden Eßlust sprach. Katherine konnte alles essen, was sie wollte, einfach, weil sie das meiste nicht essen wollte. Ihr durchgestyltes Äußeres ließ eine Frau vermuten, die nirgends Schwierigkeiten hatte. Die kühlen grauen Augen sahen ruhig und überlegen unter dem dunklen Pony hervor. Sie war sich dessen bewußt. Wenn sie allein war, übte sie das.
Als nächstes kam Fintan, der auf seinem Weg durch das Restaurant von den Blicken der Kellner und der meisten Gäste verfolgt wurde. Er war groß und kräftig und sah gut aus, die dunklen Haare hatte er zu einer gelglänzenden Tolle nach hinten gekämmt. Die Ärmel seines grell-lila Anzugs waren über und über mit Knopflöchern durchsetzt, durch die sein limonengrünes Hemd blinkte. Das Revers war so ausladend, daß es als Landeplatz für Flugzeuge hätte dienen können. »Wer ist das wohl…?«, »Bestimmt ein Schauspieler…!«, »Oder ein Model…?« flüsterten die Gäste raschelnd wie Herbstlaub, und ihr freitagabendliches Wohlbefinden verstärkte sich. Mein Gott, dachten sie alle, was für ein attraktiver Mann! Er entdeckte Tara und Katherine, die ihn wohlwollend amüsiert beobachtet hatten, und lächelte. Es war, als wären alle Lichter heller geworden.
»Toller Anzug«, sagte Katherine bewundernd.
»Nicht schlecht, was?« erwiderte Fintan und versuchte, einen Londoner Tonfall nachzuahmen, was ihm aber gründlich mißlang. Er konnte seinen weichen irischen Akzent aus County Clare nicht verbergen.
Sein Werdegang war bemerkenswert. Als er zwölf Jahre zuvor aus der Enge einer irischen Kleinstadt nach London gekommen war, hatte er mit Elan begonnen, sich neu zu erfinden. Als erstes nahm er sich seine Ausdrucksweise vor. Tara und Katherine mußten hilflos mit ansehen, wie Fintan mit affektierten Gesten schwule Wendungen in Gespräche einfließen ließ und davon sprach, daß er mit Boy George im Taboo getanzt habe.
Doch in den letzten zwei Jahren hatte er sich zu seinem irischen Akzent bekannt, ihn jedoch abgewandelt. Regionale Einsprengsel galten in seiner Sparte, der Modebranche, durchaus als chic. Die Leute fanden sie amüsant, wie man beispielsweise an Jean Paul Gaultier sehen kann. Aber Fintan begriff, daß es auch wichtig war, verstanden zu werden. Deshalb hatte er sich jetzt eine Art fettarmen irischen Akzent angewöhnt. In diesen zwölf Jahren hatte Taras und Katherines ländliche Ausdrucksweise eine urbane Nuance bekommen.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte Fintan zu Tara. Sie küßten sich nicht. Obwohl Tara, Katherine und Fintan fast jeden küßten, mit dem sie verkehrten, gehörte Küssen nicht zu den Umgangsformen untereinander. Sie waren in einer Kleinstadt aufgewachsen, in der man mit Zeichen körperlicher Zuneigung zurückhaltend war. So sagte in Knockavoy der Mann anstelle des Vorspiels: »Beiß die Zähne zusammen, Täubchen.« All dies hatte jedoch Fintan nicht von dem Versuch abgehalten, den Kuß auf beide Wangen in ihrer gemeinschaftlichen Wohnung in Willesden Green einzuführen, wo sie am Anfang ihrer Londoner Zeit lebten. Er wollte sogar, daß sie sich gegenseitig küßten, wenn sie von der Arbeit kamen, aber das traf auf heftigen Widerstand. Er war zutiefst enttäuscht. Seine neuen schwulen Freunde hatten Freundinnen, die sich auf dergleichen
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