Pusteblume
seine Schuld.«
Als die anderen sie fragend ansahen, erzählte sie ihnen die Geschichte von seiner Mutter, die ihn verlassen hatte. »Vielleicht würden wir auch frei von der Leber weg sprechen, wenn unsere Mütter uns in einem so wichtigen Alter unserer Entwicklung verlassen hätten.«
Fintan und in gewissem Maße auch Liv versuchten, sie zur Vernunft zu bringen, aber es war die reine Zeitverschwendung. In ihrer Weichherzigkeit hatte Tara die Aufgabe übernommen, Thomas besser zu lieben. Auch wenn es besonders schwierig war, es ihm recht zu machen – und im Lauf der Monate, als er immer mehr Macht über Tara gewann, wurde es immer schwieriger, es ihm recht zu machen –, vergab Tara ihm jedesmal.
Sie sah in dem erwachsenen Mann den verlassenen kleinen Jungen. War es denn verwunderlich, wenn er gelegentlich Schläge austeilte, nachdem er selbst so schwer betrogen worden war?
Und es gab einen Trostpreis. Loyalität war für Thomas sehr wichtig. Er verlangte Treue, aber er versprach auch selbst, treu zu sein.
11
N achdem Tara mit Katherine telefoniert hatte, ging sie wieder in die Küche. Inzwischen war Thomas aufgestanden. Er schaute in den Brotkasten im PseudoLandhausstil, den er bei King’s Crescent für 99 Pence gekauft hatte.
»Das Brot … die Tüte war doch gestern abend schon offen.«
Tara spürte, wie sich der kalte Griff der Angst um sie legte, und tastete nach ihren Zigaretten. Warum hatte sie das Brot in der geschlossenen Tüte in den Kasten gelegt? Warum hatte sie die Szene nicht so wiederhergestellt, wie sie sie vorgefunden hatte?
»Ist das ein neues Brot?« fragte er ungläubig.
»Ja«, sagte Tara. Sie hatte nicht die Kraft zu lügen oder einen Witz daraus zu machen.
»Und wo ist das angebrochene?«
Tara fiel ein, daß sie sagen könnte, es sei schimmelig geworden und sie habe es weggeworfen, aber sie war zu niedergeschlagen und sagte einfach: »Ich habe es gegessen.«
Er sah sie mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund an. Er war so schockiert, daß er kaum ein Wort rausbrachte. »Fast ein ganzes Brot?« stotterte er. »Warum denn?«
Zum Glück fiel Tara eine schnippische Antwort ein. »Es war da, und ich war einsam.«
Er explodierte: »Das ist doch nicht zum Lachen, Tara.«
»Ach komm.« Tara grinste ihn an. »Ich fange jetzt an. Ab sofort wird gehungert. Und morgen nach der Arbeit gehe ich zum Steptanzen.«
Den ganzen Tag hing eine düstere Wolke über ihnen. Als wäre der graue Morgennebel in die Wohnung gedrungen, hätte sich um sie gelegt und sie in eine Untergangsstimmung gehüllt. Thomas’ Unzufriedenheit war so deutlich zu spüren, daß Tara sie fast mit Händen greifen konnte. Er war wie ein Kamin, aus dem schwarze Rauchschwaden der Ablehnung quollen.
Die Atmosphäre im Wohnzimmer – die auch in guten Zeiten ziemlich deprimierend war, mit Thomas’ braunem Sofa und den braunen Teppichfliesen – wurde immer bedrückender. Beide rauchten unablässig, und der Zigarettendunst machte die Stimmung noch bleierner. Verzweifelt wollte Tara den Trübsinn verscheuchen und Thomas mit einer humorvollen Bemerkung zum Lächeln bringen, so daß alles wieder beim alten wäre. Aber ihr fiel nichts ein. Wenn sie etwas Witziges aus der Zeitung vorlas, knurrte er nur oder überhörte sie einfach.
Unzählige Male zuvor hatten sie an einem Sonntagmorgen so zusammengesessen, und es war immer gemütlich gewesen. Aus Taras Sicht hatte sich nichts verändert. Es gab keinen Grund für diese magenverkrampfende … Vorahnung. Das war genau das richtige Wort. Vorahnung. Aber worauf wartete sie?
»Ich würde gern das Theaterstück über Woodstock sehen«, sagte Tara, nachdem sie eine Stunde schweigend zugebracht hatten. In Wahrheit war ihr das Theaterstück völlig gleichgültig, aber sie konnte das Schweigen nicht eine Sekunde länger ertragen. Sie brauchte einen Vorwand, ein Gespräch mit ihm anzufangen. Sie wollte ein Gefühl von Nähe herstellen und seine Bereitschaft spüren, daß er mit ihr ins Theater gehen würde.
Thomas sah sie über die Zeitung hinweg an. »Warum gehst du dann nicht und siehst es dir an?« bellte er, als hätte er nie einen dümmeren Vorschlag gehört. Dann schüttelte er die Zeitung zurecht und verschwand aufs neue dahinter, so daß er Taras entsetztes Gesicht nicht bemerkte.
Beryl kam ins Zimmer, streifte Tara mit einem verächtlichen Blick, machte einen Bogen um sie – ich hab gesehen, wie du den ganzen Toast gegessen hast, du dicke Kuh – und sprang Thomas auf
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