Pusteblume
Street auf Rädern. Ein rotes Auto kam ihnen entgegen. Erdbeer-Geleefrucht, dachte sie. Ein lilafarbenes überholte sie. Haselnuß mit Karamelüberzug. Ein gelbes Auto. Toffee Deluxe. Ein grünes Auto. Noisette-Dreieck. Ein braunes Auto. CafeCreme.
»Ich habe eine Nahrungsmittel-Analogie«, murmelte sie vor sich hin, aber Thomas saß auf dem Beifahrersitz, rauchte und hatte den Blick stur aus seinem Seitenfenster gerichtet. Sie hatte auch gar nicht gewollt, daß er sie hörte.
Nachdem sie eine Stunde gefahren waren, zeigte Thomas mit dem Finger in die Richtung einer Imbißbude an der Straße und sagte: »Guck mal!« Taras Herz machte einen Luftsprung. Vielleicht würde er ihr erlauben, etwas zu essen. Aber dann stellte sich heraus, daß Thomas das Meer gesehen hatte. Sie fuhren nach Whitstable in Kent und hatten den Kieselstrand für sich allein. Der Tag blieb so feucht und dunstig, wie er am Morgen begonnen hatte. Die stille See hatte eine Farbe zwischen Braun und Grau, und der Himmel sah aus wie eine graue Betondecke. Die Leere und die graue Landschaft machten Tara noch unglücklicher. Der Ausflug hierher war ein Fehler gewesen. In den zwei Stunden, die sie zusammen eingesperrt und endlos rauchend im Auto gesessen hatten, war die Spannung zwischen ihnen noch gestiegen. Trotz des wenig einladenden Wetters bestand sie darauf, daß sie ausstiegen und einen kleinen Spaziergang machten, in der Hoffnung, daß die frische Luft Wunder wirken würde. Mit gesenkten Köpfen kämpften sie sich über den Kieselstrand, und als sie zu einer Mole kamen, blieben sie stehen. Sie setzten sich auf den feuchten Strand und starrten auf das bewegungslose Meer. Es war, als würden sie auf eine leere Mattscheibe starren. Vögel sangen keine.
Nach fünfzehn Minuten trotteten sie wieder zum Auto und fuhren nach Hause. Auf der Fahrt fing es an zu regnen.
12
F intan und Sandro hatten einen viel schöneren Sonntag als Tara und Thomas. Sie hatten sich mit Freunden zu einem lebhaften, fröhlichen Lunch im Circus getroffen, und jetzt waren sie zu Hause und lasen die Sonntagszeitungen. Fintan hatte sich auf dem unglaublich hippen Ledersofa ausgestreckt und die Füße in Sandros Schoß gelegt.
Sie waren sich so nah, daß sie sich auch ohne viele Worte verstanden.
»Hast du den Artikel –«
»– den von Michael Bywater?«
»Mmhmm. Ganz lustig.«
Es folgte eine lange, behagliche Pause.
»Meinst du, wir sollten –«
»– nach einem Langhaarteppich? Ich finde, ja. Wir könnten –«
»– nächstes Wochenende. Ist gut.«
Und wieder umhüllte sie Schweigen.
Sandro faltete das Feuilleton des
Independent
zusammen und wollte Fintan fragen, ob er ihm den RealLife-Teil geben könnte, aber Fintan hatte ihn schon in der Hand und reichte ihn herüber.
Fintan und Sandro hatten sich sechs Jahre zuvor kennengelernt, als Fintan noch in Kentish Town mit Tara und Katherine zusammenlebte. Sandro war buchstäblich der Junge von nebenan gewesen.
An dem Tag, als Sandro in die Wohnung im selben Stockwerk zog, warf Fintan einen Blick auf dessen schlanke, ranke Gestalt, das koboldhafte Gesicht, den geschorenen Schädel und die runde Brille, und war auf den ersten Blick verliebt. Er war auch fällig. Ein Jahr lang hatte er geklagt, daß er keine Lust mehr habe, sich von einem Liebhaber zum nächsten zu hangeln, er wolle eine feste Beziehung. »Ich wünsche mir etwas vollkommen anderes«, sagte er.
Weil es auf dem Briefkasten stand, wußten sie, daß der neue Mieter Sandro Cetti hieß. Er lächelte immer freundlich und grüßte nett, wenn sie ihn auf der Treppe trafen, und eines Morgens sprach Tara ihn an und fand heraus, daß er Architekt war und aus Rom stammte.
»Ein italienischer Hengst«, meinte Fintan später.
»Wohl kaum ein Hengst«, gab Tara zurück. »Eher ein italienisches Pony.«
Und die Bezeichnung blieb haften.
»Ich weiß einfach nicht, ob er schwul ist«, sagte Fintan gequält. »Ich merke nicht, daß er irgendwelche Signale aussendet.«
»Ich merke auch nichts«, sagte Tara. »Ich bin mir nicht sicher, ob er hetero ist.«
»Vielleicht ist er ein Außerirdischer«, war Katherine aus dem Badezimmer zu vernehmen.
»Er kommt aus dem Haus, er kommt raus«, schrie Tara aufgeregt, und Fintan eilte zum Fenster und sah Sandro nach, der in seinem schicken, modischen Anzug und den glänzenden Doc Martens federnden Schrittes davonging.
»Ist er nicht bezaubernd?« seufzte Fintan. »Zum Reinbeißen süß.«
Was immer Sandro im Lauf der
Weitere Kostenlose Bücher