Pusteblume
folgenden Wochen sagte oder tat, steigerte nur Fintans Schmachten. Eines Nachts gab es vor ihrem Haus einen Autounfall, und am nächsten Morgen trafen sie Sandro mit vor Aufregung leuchtenden Augen an der Haustür.
»Ich lag im Schlaf, und plötzlich, BUMM!« Er hob beide Hände, als wollte er ein Orchester dirigieren. »Ich höre viel Lärm, ich laufe zu meinem Fenster, ich sehe Glas an allen Stellen!«
Später wiederholte Fintan jedes Wort, das Sandro gesagt hatte. »›… ich sehe Glas an allen Stellen.‹ Wie soll man da nicht schwach werden? ›Ich lag im Schlaf .‹ Was für ein Engel«, seufzte er verliebt. »Es wird immer schlimmer.«
Die Zeit verging, und Fintans aufreibendes Leben nahm seinen Lauf: Pubs, Partys, Clubs – immer mit einem Auge auf der Tür, für den Fall, daß Sandro in einem der Schwulentreffs auftauchte. Aber er tat es nicht, und Fintan verlor die Lust an allem. Schließlich sagte er: »Das Leben schmeckt mir nicht mehr.«
Die Sache erreichte einen Höhepunkt, als Fintan eines Abends in seinen Neo-Bondage-Hosen von Katherine Hamnett auf dem Heimweg war. Er hopste aus dem Bus und bewegte sich wegen der zusammengeknoteten Hosenbeine mit kleinen Schritten, wie eine Geisha, auf sein Haus zu, als ihm eine Bande Schlägertypen, die reichlich Vorurteile und reichlich freie Zeit hatten, über den Weg lief. Fintan versuchte, ihnen zu entkommen, und da er nicht rennen konnte, hoppelte er, als wäre er bei einem Sackhüpfen, während er gleichzeitig versuchte, die Schnüre zu lösen. Aber es gelang ihm nicht, er wurde zusammengeschlagen und blieb bewußtlos liegen. Das war ihm früher auch schon passiert, aber nie so schlimm.
Nach drei Tagen im Krankenhaus kam er wieder nach Hause, und da trat Sandro auf den Plan. Er wollte sich tagsüber, wenn Tara und Katherine im Büro waren, um Fintan kümmern. Fintan sah aus wie ein zerbeulter Zug, aber ihm war nach dem Erlebnis viel zu elend zumute, als daß er sich bei eitlen Überlegungen aufhalten konnte.
Sandro kochte Fintan Tee und Suppe, das einzige, was der mit seinem ausgerenkten Kiefer zu sich nehmen konnte, und half ihm beim Trinken durch den Strohhalm. Und weil Fintan kaum aus seinen blau geschwollenen Augen sehen konnte, bot Sandro an, ihm vorzulesen.
»Ja, bitte. Aus einer der Zeitschriften von dem Stapel da.« Fintan wedelte mit der Hand, und Sandro nahm eine der Zeitschriften – ein Reiseprospekt, wie er schnell feststellte. Fintans niedergedrückte Stimmung verflog, als er in köstlicher Qual dalag, nämlich in Reichweite des Objekts seiner Begierde, das ihm süße Worte ins Ohr sagte: »… Pool-Bar, Parkanlage, voll klimatisiert, Kaffeemaschine, Teeküche, überwachter Spielbereich.«
»Halbpension?«
»Nur Übernachtung. Aber hier steht, es gibt drei Restaurants, ›Grillbar am Strand, das kinderfreundliche Harvey’s und das elegante Cochon Gros für ein intimes Dinner.‹«
»Nicht, daß ich je Gelegenheit haben werde, dorthin zu reisen, aber es ist schön, davon zu träumen«, murmelte Fintan.
»Was ist die durchschnittliche Temperatur um diese Jahreszeit?«
Sandro schlug die Tabelle am Ende der Broschüre auf, doch plötzlich warf er den Prospekt auf den Boden. »Es macht mich so wütend, was diese Kerle gemacht haben, diese Tiere«, sagte er heftig.
»Wirklich?« fragte Fintan und schluckte.
»Es macht mich wütend, weil sie das einem Schwulen antun, und es macht mich wütend, weil sie es dir antun!«
Was sollte das heißen, fragte Fintan sich. War Sandro ein weichherziger Liberaler? Ein weichherziger, liberaler Hetero? Zum Glück nicht! Sandro war genauso schwul wie Fintan. Bei näherer Befragung kam alles heraus, und Sandro erzählte, daß sein Freund vor zwei Jahren an »dem Virus« gestorben sei.
»Und ich habe das Gefühl, daß ich mich nie wieder in jemanden verlieben kann. Aber dann sehe ich dich, wie du in die Wohnung gehst«, Sandro zog vor Verlegenheit den Kopf ein, was gar nicht nötig gewesen wäre, weil Fintan wegen seiner geschwollenen Augen so gut wie nichts sah, »und ich denke, der … sieht aber gut aus. Dann bringst du mir meine Post und die Handzettel mit den Pizza-Angeboten und von dem Fensterputzer, und ich finde dich sehr freundlich.«
Ganz sanft, damit Fintans ausgerenkter Kiefer keinen weiteren Schaden nahm, küßten sie sich zum ersten Mal, und Fintan spürte ein solches Gefühl der Glückseligkeit durch sich hindurchströmen, daß er glaubte, sein Herz würde zerspringen.
Von dem Tag an
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