Pyramiden
tötete man eine Pyramide?
Und was geschah, wenn man sie umbrachte?
Teppic besann sich auf die Hypothese, daß in einem solchen Fall die Normalität beschloß, nach Djelibeby zurückzukehren, in die wiederaufbereitete Zeit des Alten Königreichs.
Eine Zeitlang beobachtete er die Götter, fragte sich, was sie darstellten und warum sie keine Rolle spielten. Sie schienen nicht realer zu sein als die Landschaft, über die sie hinwegmarschierten, um irgendwelchen göttlichen Dingen nachzugehen. Die Welt beschränkte sich darauf, ein Traum zu sein, und Teppic gelangte allmählich zu dem Schluß, daß ihn nichts mehr überraschen konnte. Wenn jetzt sieben fette Kühe vorbeigewandert wären, hätte er nur mit den Achseln gezuckt.
Er schwang sich wieder auf Du Mistviehs Rücken, versetzte ihm einige stimulierende Schläge und ritt über den Weg. Die Felder zu beiden Seiten erweckten den Anschein, als seien sie erst vor kurzer Zeit verheert worden.
Die Sonne ging unter. Die Götter der Nacht und des Abends setzten sich gegen die heiligen Entitäten des Tages durch, triumphierten, packten den glühenden Ball und zerrten ihn hinter den Horizont. Teppic seufzte und stellte sich vor, was nun mit der Sonne geschehen mochte. Vermutlich wurde sie von irgendwelchen Göttinnen verspeist, mit Booten unter die Welt getragen und so weiter. Vielleicht blieb nicht genug von ihr übrig, um die Nacht am nächsten Morgen zu beenden.
Alles blieb still und leer, als Teppic den Hof erreichte. Du Mistvieh stapfte gemütlich in seinen Stall und kaute dort genüßlich an einigen Strohresten. Er verspürte eine gewisse Anspannung in seinem Innern, besonders im Bereich von Darm und Blase, begann mit einer komplizierten Berechnung, die ihn in die Lage versetzen sollte, einen Druckausgleich herzustellen.
Teppic klopfte ihm auf den Rücken, wodurch eine neuerliche Staubwolke aufwirbelte. Dann verließ er den Stall und eilte die breite Treppe vor dem Palast hoch. Nirgends regte sich etwas. Weit und breit waren weder Wächter noch Bedienstete zu sehen, keine Menschenseele.
Wie ein Dieb, der beschlossen hatte, eine Tagesschicht einzulegen, schlich er durch seinen eigenen Palast und gelangte schließlich in das leere Arbeitszimmer des Obersten Einbalsamierers. Alles deutete darauf hin, daß dort ein exzentrischer Räuber am Werk gewesen war. Im Thronsaal roch es wie in der Küche, und irgend etwas schien die Köche veranlaßt zu haben, überstürzt zu fliehen.
Die goldene Maske der Pharaonen von Djelibeby lag verbeult in einer Ecke. Teppic hob sie auf, runzelte argwöhnisch die Stirn, nahm ein Messer und kratzte an dem Metall. Das Gold blätterte ab, und darunter kam eine silbergraue Masse zum Vorschein.
Er nickte langsam. Es gab einfach nicht genug Gold im Alten Königreich. Die Maske fühlte sich so schwer wie Blei an, weil sie aus Blei bestand. Teppic fragte sich, ob sie irgendwann einmal aus purem Gold angefertigt worden war, welcher Ahne die Verantwortung für den Austausch trug und wie viele Pyramiden man damit bezahlt hatte. Wahrscheinlich kam dem Blei irgendeine symbolische Bedeutung zu. Vielleicht symbolisierte es nichts im besonderen und sich selbst im allgemeinen.
Eine der heiligen Katzen versteckte sich unter dem Thron. Sie legte die Ohren an und spuckte, als sich Teppic bückte, um sie zu streicheln. Wenigstens das hatte sich nicht verändert.
Auch weiterhin blieb alles still. Der junge Pharao näherte sich dem Balkon …
… und starrte auf eine große stille Menge hinab. Tausende von Bürgern standen im Zwielicht und starrten über den Fluß. Teppic drehte den Kopf und sah eine Flotte aus Booten und Flößen, die gerade das diesseitige Ufer verließ.
Wir hätten Brücken bauen sollen, dachte er. Aber es hieß, dadurch lege man dem Djel Fesseln an.
Er sprang übers Geländer, landete auf festgetretenem Boden und näherte sich der Menge.
Plötzlich traf ihn die volle Wucht ihres Glaubens.
In Hinsicht auf ihre Götter mochten die Bürger von Djelibeby verschiedene Auffassungen vertreten, aber viele tausend Jahre lang waren sie fest von der Heiligkeit ihrer Pharaonen überzeugt gewesen. Teppic hatte jetzt das Gefühl, in einem mit Alkohol gefüllten Bottich zu schwimmen. Er spürte, wie ihn die Kraft des Glaubens durchspülte, bis seine Arme prickelten, bis Funken von den Fingerspitzen stoben, bis sein Gehirn auf einer Flutwelle aus eingebildeter Allmacht tanzte. Er wußte zwar, daß er nicht genug wußte, doch gleichzeitig
Weitere Kostenlose Bücher