Pyramiden
Ausschau zu halten. Seit prähistorischen Zeiten waren die Krokodile unumstrittene Herren des Flusses, doch jetzt schienen sie einen großen Teil ihres Status verloren zu haben. Es gab da noch die eine oder andere Rechnung zu begleichen …
Als Teppic das andere Ufer erreichte, begann hinter ihm eine Metamorphose, die Echsen in Handtaschen, Gürtel und Stiefel aus garantiert echtem Krokodilleder verwandelte. Eine lange Reihe aus Ahnen reichte durch die Kammer und den dunklen Korridor bis nach draußen. Geflüsterte Worte glitten in beiden Richtungen daran entlang – es klang so, als ließ der Wind trockenes sprödes Papier rascheln.
Dil lag im Sand, und Gern fächerte ihm mit einem Tuch Luft zu.
»Was tun sie jetzt?« fragte der Oberste Einbalsamierer.
»Sie lesen die Inschrift«, antwortete Gern. »Das solltest du sehen, Meister! Derjenige, der die Inschrift zu entziffern versucht … Er ist praktisch …«
»Ja, ja, schon gut«, brummte Dil und stand auf.
»Ich meine, er ist mehr als sechstausend Jahre alt! Sein Enkel hört ihm zu und sagt es seinem Enkel, und der wiederum …«
»Ja, ja, schon …«
»›Und-Khuft-saget-auch-zu-dem-Ersten, Was-sollen-wir-dir-ge-ben, Der-du-uns-den-Rechten-Weg-gezeiget-hast‹«, sagte Teppicymon 33 , der am Ende der Reihe stand, »›Und-der-Erste-sprachet, Und-er-sprachet-diese-Worte: Bauet-für-mich-eine-Pyramide, Auf-daß-ich-ruhen-kann, Und-bauet-sie-in-diesen-Dimensionen, Auf-daß-es-recht-und-billig-sei. Und-so-wurde-die-Pyramide-gebauet, Und-der-Name-des-Ersten-lautet …‹«
Doch es folgte kein Name. Laute Stimmen und uralte Flüche erklangen entlang der Reihe trockener Ahnen, wie hungriges Feuer, das einer Schießpulverfährte folgt. Als es Teppicymon erreichte, explodierte er.
Der ephebische Sergeant schwitzte stumm im Schatten und beobachtete etwas, das er halb erwartet und ganz befürchtet hatte. Am fernen Horizont zeigte sich eine Staubwolke.
Das Gros der tsortanischen Armee marschierte zur Grenze, und die ephebischen Streitkräfte ließen noch immer auf sich warten.
Er erhob sich, nickte dem Befehlshaber auf der anderen Seite einen kollegialen Gruß zu und näherte sich seiner Kompanie, die nur aus zwei Dutzend Männern bestand.
»Ich benötige einen Kurier, der eine, äh, Botschaft zur Stadt bringt«, sagte er. Alle Soldaten hoben die Hände. Der Sergeant seufzte und entschied sich für den jungen Nachhauseschnell, der seine Mutter vermißte.
»Lauf geschwind wie der Wind«, sagte er. »Nun, wahrscheinlich ist es gar nicht nötig, daß ich dazu auffordere, oder? Und dann … und dann …«
Stumm bewegte er die Lippen, während heißer Sonnenschein heiß auf die heißen Felsen herabbrannte. Einige Insekten mit Asbestpanzer summten im Gestrüpp. Der Sergeant überlegte angestrengt. In den Dienstvorschriften fehlte leider das Kapitel ›Berühmte Letzte Worte‹.
Er streckte den Arm aus und deutete in Richtung Heimat.
»Geh und sag den Ephebern …«, begann er.
Die Soldaten warteten.
»Was?« fragte Nachhauseschnell schließlich. »Was soll ich ihnen sagen?«
Der Sergeant entspannte sich wie ein Ballon, aus dem die Luft entwich.
»Lauf los und sag es ihnen«, erwiderte er. »Worauf wartest du noch?« Am nahen Horizont stieg eine zweite Staubwolke auf und kam näher.
Schon besser. Wenn es wirklich zu einem Massaker kommen mußte, sollten beide Seiten ihren Spaß daran haben.
Vor Teppic lag Nekropolis. Nach der Metropole Ankh-Morpork, die praktisch ihr genaues Gegenteil darstellte (dort lebte selbst die Bettwäsche), war es vermutlich die größte Stadt auf der Scheibenwelt. An Superlativen brauchte nicht gespart zu werden: Hier gab es die erlesensten Straßen und pyramidischsten Pyramiden.
Was die Bevölkerungsdichte anging, übertraf die Nekropolis alle anderen Städte im Alten Königreich. Aber ihre Bewohner gingen praktisch nie aus, und selbst der Samstagabend bot nur wenig Abwechslung.
Bis jetzt.
Jetzt ging es in der Nekropolis recht turbulent zu.
Teppic hockte auf einem verwitterten Obelisken und beobachtete graue, braune – hier und dort auch einige grüne Ahnen, die in mehr oder weniger einheitlichen Mumiengewändern über die breiten Alleen wanderten. Die Pharaonen legten einen gewissen Wert auf Demokratie. Nach der Öffnung aller Pyramiden besuchten sie die schlichteren Grabstätten, und jetzt gab es in der Totenstadt nicht nur ehemalige Herrscher, sondern auch Kaufleute, Händler, Adlige und sogar Handwerker. Was das
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