Pyramiden
den Stab.
»Mein Sohn!« rief Teppicymon. »Wag es bloß nicht, irgend etwas gegen meinen Sohn zu unternehmen! Er hat meine Nachfolge als Pharao angetreten!«
Bewegung kam in die langen Reihen der Vorfahren, doch keine Mumie trat vor. Niemand konnte sich aus dem Bann des Hohenpriesters befreien.
»Äh, Dios«, sagte Koomi.
Dios drehte sich um und hob die Brauen.
»Sie haben gesprochen?« fragte er würdevoll.
»Äh, wenn der Junge dort oben wirklich der Pharao ist, äh, ich meine, wir, äh, glauben, Sie sollten ihn in Ruhe lassen. Ich meine, das wäre doch eine gute Idee, nicht wahr? Ich meine, wenn er den Schlußstein oder einen Teil davon auf die Spitze der Großen Pyramide setzt, damit sie sich endlich entladen kann …«
Dios’ Amtsstab pochte auf den Boden, und die übrigen Priester erstarrten, als sich kalte, substanzlose Stricke um ihre zitternden Körper schlangen.
»Ich habe mein Leben für das Königreich geopfert«, verkündete Dios. »Immer und immer wieder. Was hier existiert, habe ich geschaffen. Und ich werde es nicht einfach so aufgeben.«
Dann sah er die Götter.
Teppic zog sich langsam hoch, legte einen weiteren halben Meter zurück und ließ vorsichtig den Arm sinken, um ein Messer aus dem Marmor zu ziehen. Zweifel entstanden in ihm. Das Messerklettern eignete sich in erster Linie für poröse, nicht ganz so hohe Stadtmauern, und es reagierte immer ein wenig unwillig, weil man nicht die Treppe benutzte. Das Messerklettern an Pyramiden zeichnete sich durch besonders schlechte Laune aus, und man konnte ihm nur dann ein zufriedenes Lächeln abgewinnen, wenn man genug Dolche bei sich führte.
Seltsame Schatten huschten über den dunklen Marmor, und Teppic warf einen Blick über die Schulter.
Die Götter gaben ihren Kampf um die untergegangene Sonne auf und kehrten vom Horizont zurück.
Sie hüpften, sprangen und marschierten über Felder, stapften durch den Fluß, zermalmten Schilf und näherten sich der Pyramide. Sie mochten nicht besonders intelligent sein, aber sie ahnten zumindest, was es mit dem Bauwerk auf sich hatte. Vielleicht begriffen sie sogar, was Teppic plante. Es fiel dem jungen Pharao schwer, die Mimik der verschiedenen Tierfratzen zu deuten, aber alles deutete darauf hin, daß die Götter sehr zornig waren.
»Hast du vor, sie deinem Willen zu unterwerfen, Dios?« fragte Teppicymon. »Möchtest du ihnen mitteilen, daß die Welt ohne Veränderungen bleiben soll?«
Der Hohepriester beobachtete, wie sich die Wesen gegenseitig anrempelten, als sie durch den breiten Strom wateten. Zu viele Zähne, dachte er. Zu viele Zungen. Die menschlichen Teile fielen nach und nach ab. Ein löwenköpfiger Gott der Gerechtigkeit – er hieß Henker, erinnerte sich Dios – hob seine Waage und schlug damit auf einen Flußgott ein. Chefet der Hundeköpfige Gott der Metallarbeit, knurrte und traktierte seine Kollegen mit einem dicken Hammer. Chefet, fuhr es Dios durch den Sinn. Ich habe ihn geschaffen, um den Menschen ein Beispiel zu geben, um ihnen zu zeigen, wie aus dünnen Drähten filigrane Schönheit werden kann.
Eigentlich durfte er stolz auf sich sein. Er hatte einem völlig kulturlosen Wüstenvolk die Kunst der Zivilisation beigebracht und es in die Geheimnisse der Pyramiden eingeweiht. Damals brauchte ich die Götter.
Das Problem mit Göttern bestand darin, daß sie zu existieren begannen, wenn die gewöhnlichen Bürger zu fest an sie glaubten. Und Götter warteten oft mit göttlichen Überraschungen auf. Anders ausgedrückt: Sie waren nicht so, wie sie eigentlich sein sollten.
Chefet, Chefet, dachte Dios. Der himmlische Juwelier. Jetzt hat sich meine Phantasie verselbständigt und führt ein eigenes Leben. Sieh nur wie sich seine Fingernägel in Klauen verwandeln …
So habe ich ihn mir nicht vorgestellt.
»Halt!« rief er. »Ich befehle euch, sofort stehenzubleiben! Ich habe euch geschaffen, und deshalb werdet ihr mir gehorchen!«
Wurde bereits erwähnt, daß es den Göttern an Dankbarkeit mangelt?
Teppicymon spürte, wie der Bann allmählich von ihm wich, als Dios seine Aufmerksamkeit ekklesiastischen Dingen widmete. Er blickte zur winzigen Gestalt an der Pyramide hoch und beobachtete erschrocken, wie sie den Halt verlor …
Die übrigen Vorfahren sahen es ebenfalls, und plötzlich wußten alle Toten, was es zu tun galt. Dios konnte warten.
Dies war eine Familienangelegenheit.
Teppic hörte ein dumpfes Knirschen und hielt sich hastig mit einer Hand fest. Weiter
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