Pyramiden
versuchte es mit einigen anderen Krügen, bis plötzliches Licht verkündete, daß er seine Augen gefunden hatte. Fasziniert beobachtete er eine von Binden umwickelte Hand, die in den Behälter griff und immer größer wurde.
Teppicymon nahm die Augen und nickte zufrieden. Das hätten wir. Der Rest kann warten. Bis ich Appetit bekomme und etwas essen möchte.
Er drehte sich um, und sein Blick fiel auf Dil und Gern, die ihn mit einem gewissen Interesse beobachteten. Wahrscheinlich verspürten sie den Wunsch, noch weiter in die Ecke des Zimmers zurückzuweichen, doch dazu wären dreieckige Rücken notwendig gewesen.
»Äh. Hallo, Leute, wie geht’s?« Der Pharao lauschte dem hohlen Klang seiner Stimme. »Ich weiß viel über euch. Tja, ich würde euch gern die Hand schütteln, aber dazu müßte ich erst die Augen beiseite legen.«
»Gkkk«, erwiderte Gern.
»Gefallen euch Puzzlespiele?« fragte Teppicymon. »Ich meine, habt ihr Spaß daran, gewisse Dinge zusammenzusetzen? Ich denke da an meinen Körper und einige Organe, die mir ans Herz gewachsen sind. Sozusagen. Übrigens: Mit den Nähten ist alles in bester Ordnung. Gute Arbeit.«
Beruflicher Stolz splitterte die Entsetzensbarrieren in Dil.
»Du lebst?« fragte er. »Ich meine: Sie sind auferstanden, o verstorbener Pharao?«
»Das war doch beabsichtigt, nicht wahr?« erwiderte Teppicymon.
Dil nickte. Natürlich, darum ging es ja beim Einbalsamieren. Er hatte immer an ein Leben nach dem Tod geglaubt, aber trotzdem fiel es ihm schwer, es mit allem Drum und Dran für möglich zu halten. Nun, der Pharao lebte, und seine ersten Worte – abgesehen von einem bemerkenswert kameradschaftlichen Gruß und dem Hinweis auf Puzzlespiele und dergleichen – lobten die Nadelarbeit des Obersten Einbalsamierers. Dils Brust schwoll an. Es geschah nur sehr selten, daß ihm Mumien ihre Anerkennung aussprachen.
»Na bitte«, wandte er sich an Gern, dessen Schulterblätter versuchten, sich durch die Wand zu bohren. »Hör nur, was man über deinen Meister sagt.«
Der Pharao zögerte. Er rang sich allmählich zu der Erkenntnis durch, daß irgend etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Die Unterwelt war natürlich wie das Diesseits, nur besser, und zweifellos warteten in ihr viele Diener und so weiter auf ihn. Trotzdem: Sie ähnelte zu sehr der Welt, die er kannte. Dil und Gern hätten eigentlich nicht zugegen sein dürfen. Soweit Teppicymon wußte, gab es für das gewöhnliche Volk eine andere gewöhnliche Unterwelt, in der sich Handwerker, Bauern und Arbeiter wohl fühlen konnten, ohne irgend jemandem zu Diensten sein zu müssen. Das Motto lautete: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit im Jenseits.
»Oh«, sagte er schließlich. »Es scheinen sich Komplikationen anzubahnen. Ihr seid nicht tot, oder?«
Dil zögerte. An diesem Tag hatte er Dinge gesehen, die berechtigten Zweifel weckten. Dennoch schien einiges darauf hinzudeuten, daß er noch immer lebte.
»Hm«, kommentierte Teppicymon. »Daraus ergibt sich die Frage: Was ist hier eigentlich los?«
»Das wissen wir leider nicht, o Pharao«, entgegnete Dil. »Wir haben keine Ahnung. Es ist alles wahr geworden, o Quelle des Wassers!«
»Was hat sich bewahrheitet?« erwiderte Teppicymon. Er glaubte, als Untoter auf das förmliche Sie verzichten zu können.
»Alles!«
»Alles?«
»Die Sonne, o Herr. Und die Götter! Oh, die Götter! Sie sind überall, o Gebieter des Himmels!«
»Wir haben uns durch die Hintertür hereingeschlichen«, sagte Gern und sank auf die Knie. »Verzeih uns, o Herr der Gerechtigkeit, der zurückgekehrt ist, um uns seine unvergleichliche Weisheit zu schenken. Das mit Glwenda tut mir leid. Die Dingsbums, äh, Leidenschaft überwältigte uns. Wir konnten uns einfach nicht beherrschen. Außerdem: Allein ich bin verantwortlich für …«
Dil winkte, und daraufhin schwieg sein Lehrling demütig.
»Entschuldigung«, sagte er zu der Mumie. »Könnten wir uns unter vier, äh, Augen unterhalten? Von Mann zu …«
»Leiche?« warf der Pharao ein, um den Einbalsamierer von seiner Befangenheit zu befreien. »Selbstverständlich.«
Sie gingen zur anderen Seite der Kammer.
»Nun, o gütiger Herr des …«, begann Dil mit einem verschwörerischen Flüstern.
»Ich glaube, auf die Lobpreisungen können wir verzichten«, sagte Teppicymon. »Tote halten nichts von zeremoniellen Dingen. ›Pharao‹ genügt völlig.«
»Nun, es geht um folgendes – Pharao«, sagte Dil. Der Umstand, daß ihn Teppicymon XXVII.
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