QED: Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie (German Edition)
Bewegungsspielraum des Photons zu klein wird (wie im Fall der winzigen Spalte im Schirm), versagen diese Gesetze, und wir entdecken, daß sich Licht keineswegs geradlinig auszubreiten braucht, daß bei zwei Spalten Interferenzen auftreten und so fort. Dasselbe gilt auch für Elektronen: Bei einem großen Bewegungsspielraum bewegen sie sich wie Teilchen auf festen Pfaden. Wird dieser Bewegungsspielraum jedoch, wie im Inneren von Atomen, spürbar beschnitten, das heißt, gibt es nicht mehr genügend Raum für einen Hauptweg, für eine »Bahn«, kann das Elektron alle möglichen Wege einschlagen, und für jeden gibt es eine Amplitude. Nun erlangt das Phänomen der Interferenz mit einemmal große Bedeutung, und wir müssen die Pfeile addieren, um das Verhalten eines Elektrons vorhersagen zu können.
Interessant ist übrigens; daß die Elektronen zunächst als Teilchen betrachtet wurden und ihr Wellencharakter erst später entdeckt wurde, während man Licht, von Newtons Irrtum einmal abgesehen, gerade umgekehrt, anfangs als Welle aufgefaßt hat und sein Teilchencharakter später zutage kam. In Wirklichkeit verhalten sich beide, Elektronen wie Photonen, teilweise wie Wellen und teilweise wie Partikel. Um uns nun nicht durch die Erfindung neuer Wörter wie »Wellteilchen« oder dergleichen in Unkosten zu stürzen, haben wir diese Objekte lieber als »Partikel« bezeichnet. Aber wir wissen sehr wohl, daß sie den oben erläuterten Gesetzen des Pfeilezeichnens und -kombinierens unterliegen. Soweit wir bis jetzt in die Materie eingedrungen sind, scheinen sich alle »Partikel« oder Teilchen in der Natur – Quarks, Gluonen, Neutrinos und so fort (mehr darüber in der nächsten Vorlesung) – auf diese quantenmechanische Weise zu verhalten.
Nach der Vorstellung der Akteure nun die drei Grundvorgänge, die allen Licht- und Elektronenphänomenen zugrunde liegen.
– VORGANG 1: Ein Photon bewegt sich von Ort zu Ort.
– VORGANG 2: Ein Elektron wandert von Ort zu Ort.
– VORGANG 3: Ein Elektron emittiert oder absorbiert ein Photon.
Jeder dieser Vorgänge hat eine Amplitude – einen Pfeil –, die sich mit Hilfe bestimmter Regeln berechnen läßt. Diese Regeln oder Gesetze, die die ganze Welt regieren (die Atomkerne und die Gravitation stets ausgenommen!), werde ich Ihnen im folgenden verraten.
Die Bühne, auf der sich diese Vorgänge abspielen, ist nicht auf den Raum beschränkt, sie bezieht auch die Zeit mit ein. (Bis jetzt habe ich alle mit der Zeit zusammenhängenden Probleme, beispielsweise wann genau ein Photon die Lichtquelle verläßt und wann genau es beim Detektor eintrifft, ausgeklammert.) Den in Wirklichkeit dreidimensionalen Raum werde ich auf den Diagrammen auf eine Dimension reduzieren. Der Ort eines bestimmten Objekts im Raum soll auf der horizontalen Achse angegeben werden, die Zeit auf der vertikalen.
Das erste Ereignis, das ich in Raum und Zeit – oder in der Raumzeit, wie ich mich schludrigerweise ausdrücken könnte – darstellen möchte, ist ein still liegender Baseball (vgl. Abb. 52). Dieser Baseball soll am Donnerstag morgen, den ich mit T 0 bezeichnen will, einen bestimmten Raum, den ich mit X 0 bezeichnen will, einnehmen. Denselben Raum nimmt der Ball, da er ja still liegt, einige Augenblicke später, zur Zeit T 1 , noch ein. Und genausowenig hat er sich wiederum ein bißchen später, also zur Zeit T 2 , von der Stelle X 0 gerührt. Somit ergibt das Diagramm eines still liegenden Baseballs einen vertikalen, gerade nach oben verlaufenden Streifen, einen »Baseball-Streifen«.
Was geschieht nun, wenn ein Baseball in der Schwerelosigkeit des Weltraums geradewegs auf eine Wand zudriftet? Sagen wir, er startet am Donnerstag morgen (T 0 ) bei X 0 (vgl. Abb. 53), so ist er etwas später nicht mehr am selben Platz, sondern ein bißchen, nach X 1 , abgetrieben, und so weiter und so fort, wodurch wir auf dem Raum-Zeit-Diagramm einen schräg verlaufenden »Baseball-Streifen« erhalten. Trifft der Ball auf der Wand (die still steht und deshalb ein vertikales Band abgibt) auf, prallt er ab und wandert in entgegengesetzter Richtung zu seinem Ausgangspunkt im Raum, genau nach X 0 , zurück, wohingegen der Zeitpunkt nun ein anderer ist: T 6 .
Für die Zeitskala empfiehlt es sich, die Zeit nicht in Sekunden, sondern in wesentlich kleineren Einheiten zu bemessen. Da wir es mit den außerordentlich schnellen Photonen und Elektronen zu tun haben, werde ich die Ausbreitung mit
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