Qiu Xiaolong
Entschuldigung, schließlich mußte er das Bettlerhuhn auswickeln. Es roch wundervoll. Angeblich stammte das Rezept von einem Bettler, der ein Huhn in Lehm und in ein Lotosblatt gewickelt und dann in einem Gluthaufen gebraten hatte. Das Ergebnis war ein durchschlagender Erfolg. Lu hatte sicher lange für die Zubereitung gebraucht.
Dann wandte Chen sich dem Keramiktopf zu. »Was ist denn das?«
»Tintenfischeintopf mit Schweinefleisch«, erklärte Ruru. »Lu meinte, das hättest du in deiner Schulzeit gern gegessen.«
»Genosse Oberinspektor«, fuhr Lu fort, »aufstrebender Parteikader und obendrein noch romantischer Dichter, du brauchst meine Hilfe nicht, nicht in dieser neuen Wohnung, nicht mit einem jungen Mädchen an deiner Seite, das so hübsch ist wie eine Blume.«
»Was meinen Sie damit?« fragte Wang.
»Na ja, aber jetzt ist es Zeit zu essen – wie köstlich es hier riecht! Laßt uns anfangen, sonst werde ich verrückt.«
»So ist er eben. Wenn er mit seinem alten Schulfreund zusammen ist, vergißt er sich völlig«, erklärte Ruru Wang, die sie bereits kennengelernt hatte. »Heute nennt nur noch Oberinspektor Chen ihn den ›Überseechinesen‹.«
»Es ist jetzt sieben«, sagte Chen. »Professor Zhou und seine Frau werden wohl nicht mehr kommen, wenn sie bis jetzt noch nicht da sind. Wir können also anfangen.«
Ein Eßzimmer gab es nicht. Mit Lus Hilfe stellte Chen einen Klapptisch und Klappstühle auf. Wenn er allein war, aß Chen an seinem Schreibtisch. Doch für Anlässe wie diesen hatte er sich die Klappmöbel besorgt, die ja nicht viel Platz brauchten.
Das Abendessen war ein Erfolg auf ganzer Linie. Trotz Chens Zweifel an seinen Kochkünsten vertilgten die Gäste alles rasch und vergnügt. Die improvisierte Suppe kam besonders gut an. Lu fragte ihn sogar nach dem Rezept.
Schließlich stand Ruru auf und bot an, den Abwasch zu übernehmen. Chen wollte sie davon abhalten, doch Lu meinte: »Genosse Oberinspektor, meine gute alte Gattin sollte nicht der Gelegenheit beraubt werden, ihre Hausfrauentugenden unter Beweis zu stellen.«
»Ihr Chauvinisten!« sagte Wang und gesellte sich zu Ruru in die Küche.
Lu half Chen, den Tisch abzuräumen, verstaute die Reste und machte eine Kanne Oolong-Tee.
»Ich muß dich um einen Gefallen bitten, alter Freund«, sagte er schließlich, mit der Teetasse in der Hand.
»Um was geht es denn?«
»Ich habe immer davon geträumt, ein Restaurant aufzumachen. Das Wichtigste an einem Restaurant ist die Lage. Ich habe mich lange umgesehen, und jetzt bietet sich mir eine einzigartige Gelegenheit. Du kennst doch das Meeresfrüchtehaus in der Shauxi Nanlu?«
»Ja, zumindest vom Hörensagen.«
»Xin Gen, der Besitzer, leidet unter der Spielsucht, er spielt Tag und Nacht. Sein Geschäft hat er völlig vernachlässigt, seine Köche sind lauter Idioten, und jetzt ist er pleite.«
»Dann solltest du unbedingt zuschlagen.«
»Für diese ausgezeichnete Lage verlangt Xin einen unglaublich niedrigen Preis, und ich müßte nicht einmal die ganze Summe auf den Tisch legen, weil er so verzweifelt ist. Er will momentan nur eine Anzahlung von fünfzehn Prozent. Dennoch brauchte ich zum Einstieg einen Kredit. Ich habe zwar die paar Pelzmäntel verkauft, die mein Alter Herr mir hinterlassen hat, aber es fehlen uns noch immer ein paar Tausender.«
»Du hättest gar keinen besseren Zeitpunkt wählen können, Überseechinese. Ich habe soeben zwei Über weisungen vom Lipang-Verlag erhalten«, sagte Chen. »Die eine für die Neuauflage von Das Geheimnis des chinesischen Sargs, die andere als Vorschuß für Der tiefe Schlaf.«
So günstig war der Zeitpunkt natürlich auch wieder nicht. Chen hatte daran gedacht, sich ein paar Möbel für seine neue Wohnung zu kaufen. Er hatte in einem Trödelladen in Suzhou einen Mahagonischreibtisch im Ming-Stil gesehen, der vielleicht sogar tatsächlich von einem Schreinermeister aus der Ming-Dynastie stammte. Fünftausend Yuan sollte er kosten. Das war zwar teuer, aber vielleicht war es ja genau der Schreibtisch, der ihn zu seinen zukünftigen Gedichten inspirieren würde. Einige Kritiker hatten nämlich geklagt, daß er sich von der Tradition der klassischen chinesischen Dichtkunst entfernte – vielleicht würde ihm der antike Schreibtisch eine Botschaft aus der Vergangenheit vermitteln. Deshalb hatte er den Chef des Lijiang-Verlags um einen Vorschuß gebeten.
Chen holte die beiden Schecks, unterschrieb sie auf der Rückseite, fügte noch einen
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