Qiu Xiaolong
zurück.
»Na ja, dann stellen Sie mir doch ein paar nette Mädchen vor!«
»Brauchen Sie meine Hilfe?«
»Warum nicht, wenn Sie sie mir anbieten?« Doch dieses Thema wollte er jetzt nicht weiter vertiefen. »Wie geht es Ihnen denn überhaupt.’’ In bezug auf eine eigene Wohnung, meine ich. Wetten, daß Sie auch bald eine bekommen?«
»Wenn ich doch nur eine Oberinspektorin wäre, ein aufsteigender politischer Stern.«
»Na klar«, sagte er und hob seine Tasse. »Tausend Dank!«
Aber bis zu einem gewissen Grad hatte sie natürlich recht.
Sie hatten sich aus rein beruflichen Gründen kennengelernt. Sie sollte einen Artikel über die »Polizisten des Volkes« schreiben, und Parteisekretär Li vom Shanghaier Polizeipräsidium hatte seinen Namen erwähnt. Als sie sich dann mit Chen in ihrem Büro unterhielt, interessierte sie sich mehr für seine abendlichen Unternehmungen als für seine Arbeit. Chen hatte einige westliche Kriminalromane übersetzt. Die Reporterin war zwar kein Krimifan, aber sie erkannte darin einen Aufhänger für ihren Artikel. Die Leser reagierten sehr positiv auf das Bild eines jungen, gut ausgebildeten Polizisten, der »noch spät in der Nacht arbeitet und Bücher übersetzt, um seinen beruflichen Horizont zu erweitern, während die Stadt Shanghai friedlich schläft«. Der Artikel erregte die Aufmerksamkeit eines Vizeministers in Peking; Genosse Zheng Zuoren glaubte, ein neues Vorbild entdeckt zu haben. Zum Teil war es Zhengs Empfehlungen zu verdanken, daß Chen zum Oberinspektor befördert worden war.
Aber es stimmte auch nur zum Teil, daß Chen Kriminalromane übersetzte, um sich beruflich fortzubilden. Vielmehr wollte er damit als Jungpolizist sein kümmerliches Gehalt etwas aufbessern. Er hatte auch eine Sammlung moderner amerikanischer Lyriker übersetzt, doch anstelle eines Honorars bot ihm der Verlag für seine Arbeit nur zweihundert Exemplare des Gedichtbandes an.
»Waren Sie sich denn über die Motive für meine Übersetzungen so sicher?« fragte er nun.
»Natürlich, das habe ich doch auch in meinem Artikel erklärt: ›Das Pflichtgefühl eines Volkspolizisten‹« Lachend drehte sie ihr Glas im Sonnenlicht.
In diesem Moment war sie nicht mehr die Reporterin, die sich ernst mit ihm unterhalten hatte, sehr aufrecht hinter ihrem Schreibtisch sitzend und ein aufgeschlagenes Notizbuch vor sich. Und er war auch nicht mehr ein Oberinspektor, sondern einfach nur ein Mann in seinen eigenen vier Wänden, zusammen mit einer Frau, deren Gesellschaft er genoß.
»Es ist jetzt über ein Jahr her, seit wir uns im Gang des Wenhui- Hauses getroffen haben«, sagte er und schenkte ihr noch etwas Wein nach.
»Die Zeit ist ein Vogel / Sie hockt, und sie fliegt«, sagte sie.
Diese Zeilen stammten aus seinem kurzen Gedicht »Abschied«. Nett, daß sie sich daran erinnerte.
»Dazu hat Sie sicher ein Abschied inspiriert, den Sie nicht vergessen können«, sagte sie. »Ein Abschied von jemandem, den Sie sehr gern gehabt haben müssen.«
Damit lag sie tatsächlich richtig, in diesem Gedicht ging es um den Abschied von einer guten Freundin. Er hatte sich vor vielen Jahren in Peking zugetragen, und dennoch erinnerte er sich noch allzugut daran. Mit Wang hatte er jedoch nie darüber gesprochen. Sie blickte ihn über den Rand ihres Glases hinweg an und nahm mit glänzenden Augen einen tiefen Schluck.
Lag da etwa eine Spur Eifersucht in ihrer Stimme?
Das Gedicht hatte er schon vor langer Zeit geschrieben, doch auf den Anlaß wollte er jetzt nicht eingehen. »Ein Gedicht muß nicht unbedingt mit dem Leben des Dichters zu tun haben. Die Lyrik ist unpersönlich. T. S. Eliot hat gesagt, daß es dabei nicht darum geht, einer emotionalen Krise Luft zu machen –«
»Was, eine emotionale Krise?« Die erregte Stimme des Überseechinesen Lu brach in ihr Gespräch. Lu stampfte mit einem riesigen Bettlerhuhn in den Händen herein. Sein modischer, mit dicken Schulterpolstern versehener weißer Anzug und seine knallrote Krawatte ließen sein rundes Gesicht und seinen rundlichen Körper noch breiter erscheinen. Lus Frau Ruru, dünn wie ein Bambusrohr, wirkte in ihrem engen gelben Kleid eher eckig. Sie hielt einen großen lilafarbenen Keramiktopf in den Händen.
»Worüber habt ihr zwei denn gerade gesprochen?« wollte sie wissen.
Lu stellte sein Huhn auf den Tisch und ließ sich auf das neue Ledersofa plumpsen. Er sah die beiden neugierig an.
Chen beantwortete die Frage jedoch nicht. Er hatte eine gute
Weitere Kostenlose Bücher