Quade 02 - Goldene Sonne die dich verbrennt
Kanonenkugel, und die Stimme ihrer Vernunft riet
Charlotte, in ihrem Versteck zu bleiben. Doch diese Stimme war zu leise, um
sich durchzusetzen, und Charlottes Sorge um Patrick und die Neugierde, die
schon von Geburt an ihr Kreuz gewesen war, siegten natürlich. Mit schnellen,
leisen Schritten entfernte sie sich von Sicherheit und Licht und begab sich in
die Finsternis und die dort lauernden Gefahren.
Obwohl sie bemüht war, vorsichtig zu
sein, stieß sie mehrmals gegen Möbelstücke, während sie sich durch die Dunkelheit
zum vorderen Teil des Hauses tastete. Als sie endlich ein Fenster erreichte,
war ihr Körper mit blauen Flecken übersät.
Aber Charlotte spürte nichts davon,
als sie sich bückte und die Augen verengte, um durch den schmalen Ritz in dem
Brett zu schauen, mit dem das Fenster vor dem vergangenen Sturm vernagelt
worden war. Und durch diesen winzigen Spalt entdeckte sie nicht nur ein Schiff
in der Bucht, sondern gleich drei! Hellrote Flammen schossen aus den
Kanonenrohren und erleuchteten die Dunkelheit, als auf allen drei Decks weitere
Schüsse abgefeuert wurden.
Charlotte war zu empört, um sich zu
fürchten; die Angst, das wußte sie, würde später kommen. Jetzt wollte sie, mußte sie bei Patrick sein. Ob im Leben oder im Tod, sie gehörte an die Seite
ihres Mannes.
Sie wollte sich gerade von dem Fenster
abwenden, als ein ohrenbetäubendes Krachen ertönte, begleitet von einer gewaltigen
Druckwelle und dem Gefühl unfaßbaren Schocks. Charlottes letzter Gedanke war,
daß eine mächtige Kreatur aus Licht und Feuer sie mit sich riß und langsam
aufsog, bis sie schließlich selbst ein Teil dieser Erscheinung wurde.
Ein unerklärliches, aber merkwürdig
eindringliches Gefühl veranlaßte Patrick, seinen Standort auf der Anhöhe über
dem Haus, wo die Kanonen standen, zu verlassen. Es war nichts Greifbares, was
ihn dazu zwang, zum Haus zurückzukehren, doch so stark, daß er sich ihm nicht
widersetzen konnte.
Am hinteren Eingang des großen
Hauses traf er auf Gideon, der völlig aufgelöst erschien.
»Gott sei Dank, daß Sie endlich da
sind!« rief der Missionar, und Patrick hatte plötzlich das unheimliche Gefühl,
durch ein Gebet von seinem Hügel herabgelockt worden zu sein. »Charlotte ...
sie ist ...«
Die drei Worte genügten, um Patrick
in Bewegung zu versetzen; durch die Hintertür stürzte er ins Haus und hörte
Gideons nächste Worte nur noch wie entferntes Bienensummen an einem heißen
Sommertag. »Ich gebe mir selbst die Schuld daran ... Jayne ist bei ihr ... Sie
ist einfach an mir vorbeigeschlüpft ...«
Patrick brauchte nicht zu Charlotte
geführt zu werden; ihre Seele wies ihm den Weg, während seine eigene ihrer
entgegendrängte.
Seine Frau lag reglos auf dem
Fußboden im Salon, dicht neben einem völlig zerstörten Fenster. Jayne kniete
weinend neben ihr und hielt ihre Hand.
Patricks Herz klopfte so hart, daß
er glaubte, es müsse zerspringen, dann setzte es für einige Schläge aus, um
schließlich von neuem seinen bedrohlich schnellen Rhythmus aufzunehmen. Doch
Patrick achtete nicht darauf. Er ließ sich neben Charlotte auf die Knie sinken
und hätte sie wohl aufgehoben, wenn Jayne ihn nicht gewarnt hätte, daß die
Bewußtlose nicht bewegt werden durfte.
»Charlotte?« fragte er rauh.
Ihre Augenlider flatterten, aber das
war auch die einzige Bewegung, die er an ihr wahrnahm.
»O Gott!« stöhnte er in grenzenloser
Bestürzung, »O Gott!« Es war das einzige Gebet, das ihm in diesem Augenblick in
den Sinn kam. »O mein Gott ...«
Gideon legte beruhigend eine Hand
auf seine Schulter. »Wir kümmern uns um Charlotte — Sie werden draußen
gebraucht«, sagte er sanft, aber Patrick schien ihn gar nicht zu hören. Obwohl
von allen Seiten laute Kampfgeräusche ins Haus eindrangen, nahm er nichts
anderes wahr als seine Frau, die so beängstigend still vor ihm auf dem Boden
lag.
Gideon schüttelte ihn sanft.
»Charlotte ist bei uns sicher! Kümmern Sie sich um Raheem«, sagte er in
eindringlichem Ton, und diesmal schien Patrick aus seiner Starre zu erwachen.
Eine eisige Kälte breitete sich bei
der Erwähnung des Piraten in seiner Seele aus. Raheem — der Mann, der
für Charlottes Verletzungen und vielleicht sogar für ihren Tod verantwortlich
war! Und für den Tod ihres ungeborenen Kindes! fügte Patrick in stummer
Verzweiflung hinzu.
Mit düsterer Miene beugte er sich
vor und küßte Charlottes blutbefleckte Stirn. Dann, ohne ein Wort oder einen
Blick für Jayne und
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