Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
Engländer ganz ungewöhnlich redselig. »Es ist
gefährlich hier«, bemerkte er, bevor er sein eigenes Glas an die Lippen hob.
»Offen gestanden bin ich überrascht, daß du deiner Schwester gestattet hast,
nach Bavia zurückzukehren angesichts der schwierigen politischen Lage hier.«
Rafael stieß einen weiteren Seufzer
aus und schloß die Augen. Seine Hände, seine Knie und seine rechte Schulter
pochten; er war nicht in der Stimmung, sich mit Fragen zu beschäftigen, auf die
er selbst noch keine Antwort fand.
»Dann fragst du dich sicher auch,
warum ich Phaedra erlaubt habe, einen Gast mitzubringen. Du wirst sehr neugierig
auf deine alten Tage, Barrett.«
Sein Freund schmunzelte, denn wie
Rafael selbst war er erst Anfang Dreißig. Beide Männer hatten ihre Mütter schon
in früher Kindheit verloren, und John Barrett, Edmunds Vater, hatte sich des
jungen Verbannten sehr liebevoll angenommen und ihn reiten, angeln, jagen und
kämpfen gelehrt, nicht anders, als wenn der Junge sein eigener Sohn gewesen
wäre. Und wie oft hatte Rafael gewünscht, es wäre so!
»Einige würden mich sogar als
vorwitzig bezeichnen«, gab Barrett nach kurzem Schweigen schmunzelnd zu.
»Ja«, bestätigte Rafael. »Aber
immerhin hast du mehrmals dein eigenes Leben in Gefahr gebracht, um meins zu
retten, und das gibt dir wohl das Recht, zu fragen.« Er trank einen Schluck
Brandy, bevor er weitersprach. »Seit siebenhundert Jahren legen die Frauen unserer
Familie ihr Ehegelübde in unserer eigenen Kapelle ab, die sich innerhalb der
Mauern dieser Burg befindet«, erklärte er und erinnerte sich schmerzlich an
seine eigene Hochzeit mit seiner geliebten englischen Rose, seiner
Georgiana, die wegen der Abneigung zwischen Rafael und seinem Vater in London
stattgefunden hatte.
Er verdrängte die Erinnerung und den
Schmerz, der sie begleitete. »Ich kann Phaedra nicht diese Tradition verweigern,
ob hier Gefahr herrscht oder nicht. Und was Annie Miss Trevarren - betrifft,
so ist sie gekommen, um der Prinzessin bei den Hochzeitsvorbereitungen
beizustehen. Außerdem ist diese junge Dame aus sehr kühnem Holz geschnitzt,
wie du heute abend wohl selbst gesehen hast.«
Barrett lachte und schüttelte den
Kopf, aber eine leichte Besorgnis wich nicht aus seinen braunen Augen. Sein
Blick, der sonst immer sehr direkt war, wich Rafaels aus. »Der Bräutigam
scheint jedenfalls keine Eile zu haben, hier zu erscheinen.«
Rafael runzelte die Stirn und beugte
sich vor, wobei er fast den Brandy auf den kostbaren Perserteppich
verschüttete, der einst seiner verstorbenen Mutter gehört hatte. Er war einer
der wenigen Wertgegenstände, die der Prinz nach seiner Rückkehr nach Bavia vor
zwei Jahren behalten hatte, nachdem er in Jahrhunderten angehäufte Schätze aus
Plünderungen und Raubzügen an das Volksvermögen zurückerstattet hatte. Obwohl
es längst nicht überall bekannt war, lebten die Angehörigen der Familie der
St. James heute von ihrem eigenen, privaten Vermögen.
Rafael vergaß jedoch nie, daß seine
Bemühungen zu spät gekommen waren, für ihn und höchstwahrscheinlich auch für
Bavia.
»Was siehst du mich so an?« fragte
Barrett, eine Spur gereizt, als er sah, daß Rafael ihn prüfend musterte.
»Du hast gerade eine sehr
merkwürdige Feststellung gemacht, scheint mir. Was interessiert es dich, ob der
zukünftige Gemahl der Prinzessin morgen erscheint, nächsten Monat oder einen
Tag nach der Auferstehung?«
Barretts Nacken rötete sich, ein
Phänomen, das Rafael seit ihrer Kindheit nicht mehr bei ihm wahrgenommen hatte.
Er schien zuerst etwas sagen zu wollen, stürzte dann jedoch den Rest seines
Brandys hinunter, um die Worte zu ertränken, bevor sie über seine Lippen kommen
konnten.
Rafaels Nacken war steif vor
Anspannung; er hätte sich am liebsten in einem dunklen Zimmer hingelegt und
geschlafen, bis alles vorüber war - Phaedras Hochzeit, die drohende Revolution,
der endgültige Zusammenbruch einer Familie, wie eigennützig sie auch gewesen
sein mochte, die seit sieben Jahrhunderten diese kleine europäische Nation
regierte. Rafael sehnte sich nach Frieden, und doch wußte er, daß er vermutlich
nicht mehr lange genug auf dieser Welt sein würde, um ihn zu erleben.
Seufzend lehnte er sich zurück und
schloß für einen Moment die Augen.
»Du hast dich in die Prinzessin
verliebt«, sagte er. »Wann ist es geschehen? Letztes Jahr, als sie in den
Sommerferien zu Hause war?«
Barrett schwieg sehr lange. Als er
endlich sprach, lag ein
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