Qual (German Edition)
Vitrine schimmerte Porzellan wie Perlmutt.
Blaze ging weiter wie ein Gespenst, hielt nicht inne, und trotzdem weckte der Anblick des großen Tisches und der Stühle mit ihren soldatisch hohen Lehnen einen schwelenden Ärger in seiner Brust. Früher hatte er Küchenböden auf Knien geschrubbt, und George sagte, es gebe noch jede Menge Leute, die genau wie er aufgewachsen waren. Und auch nicht nur in Afrika. George sagte, Leute wie die Gerards täten so, als seien Leute wie er gar nicht da. Tja, sollten sie doch ein Püppchen in das Bettchen da oben legen und so tun, als wär’s ein echtes Baby. Sollten sie das doch tun, wenn sie so gut darin waren, sich was vorzumachen.
Am anderen Ende des Esszimmers befand sich eine Pendeltür. Er ging hindurch und kam in die Küche. Als er aus dem mit Eisblumen überzogenen Fenster neben dem Herd hinausschaute, konnte er die Beine seiner Leiter sehen.
Er schaute sich nach einer Stelle um, wo er das Baby kurz ablegen konnte, während er das Fenster öffnete. Die Arbeitsflächen waren breit, aber vielleicht nicht breit genug. Und die Idee, ein Kind auf den Herd zu legen, selbst wenn der Herd gar nicht an war, gefiel ihm überhaupt nicht.
Sein Blick hellte sich auf, als er auf einen altmodischen Einkaufskorb fiel, der an einem Haken der Speisekammertür baumelte. Er sah geräumig genug aus, und er hatte einen Tragegriff. Auch die Seiten waren hochgezogen. Er nahm den Korb herunter und stellte ihn auf einem kleinen Servierwagen ab, der vor einer Wand stand. Dort verstaute er dann das Baby. Das Baby rührte sich nur leicht.
Jetzt das Fenster. Blaze hob es an und wurde mit einem äußeren Doppelfenster konfrontiert. Oben hatte es keine Doppelfenster gegeben, aber dieses hier war fest mit dem Rahmen verschraubt.
Er öffnete die Schränke. In dem unter der Spüle fand er einen ordentlichen Stapel Geschirrtücher. Eines nahm er heraus. Es war mit einem amerikanischen Adler bedruckt. Blaze umwickelte damit seine behandschuhte Hand und schlug die untere Scheibe des Doppelfensters ein. Es zerbrach relativ lautlos, hinterließ ein großes, scharfkantiges Loch. Blaze fing an, die Splitter herauszunehmen, die wie große gläserne Pfeile nach innen zeigten.
»Mike?« Wieder dieselbe Stimme. Sie rief leise. Blaze spannte sich an.
Das kam nicht von oben. Das kam –
»Mikey, was hast du umgeschmissen?«
– vom Ende des Korridors, und es kam näher –
»Du weckst das ganze Haus auf, du böser Junge.«
– und näher –
»Ich werde dich in den Keller sperren, bevor du es dir noch ganz mit mir verdirbst.«
Die Tür schwang auf, und eine Schattenriss-Frau trat hinter einem batteriebetriebenen Nachtlicht in Form einer Kerze herein. Blaze sah das verschwommene Bild einer älteren Frau, die langsam und wie auf rohen Eiern ging, um die Stille zu wahren. Sie hatte Lockenwickler in den Haaren; ihr Kopf sah als Silhouette aus wie der eines Wesens aus einem Science-Fiction-Film. Dann sah sie ihn.
»Wer …« Dieses eine Wort. Dann entschied der für Notfälle zuständige Teil ihres Hirns – alt, aber noch nicht tot –, dass Reden in dieser Situation nicht das Richtige war. Sie holte tief Luft, um zu schreien.
Blaze schlug sie. Er schlug sie so fest, wie er Randy geschlagen hatte, so fest, wie er Glen Hardy geschlagen hatte. Er dachte nicht darüber nach; er reagierte nur aus dem Schrecken heraus. Die alte Dame klappte auf dem Boden zusammen und begrub das Nachtlicht unter sich. Da war ein gedämpftes Klirren zu hören, als das Birnchen zersprang. Ihr Körper lag verdreht in der Mitte der Pendeltür.
Dann ein leises, klagendes Miau . Blaze grunzte und schaute auf. Grüne Augen starrten oben vom Kühlschrank zu ihm herunter.
Blaze drehte sich wieder zum Fenster und schlug die restlichen Glasscherben heraus. Dann hangelte er sich durch das
Loch, das er in die untere Hälfte des äußeren Doppelfensters geschlagen hatte, nach draußen und lauschte.
Nichts.
Noch nichts.
Zersplittertes Glas funkelte im Schnee wie der Traum eines Einbrechers.
Blaze zog die Leiter vom Gebäude fort, löste die Haken, senkte sie herab. Es machte ein entsetzliches ratschendes Geräusch, bei dem er hätte aufschreien können. Nachdem er die Verriegelungen wieder eingehakt hatte, hob er die Leiter auf die Schulter und begann zu laufen. Er verließ den Schatten des Hauses und war bereits halb über den Rasen, als ihm klar wurde, dass er das Baby vergessen hatte. Es lag immer noch auf dem Servierwagen. Er hatte
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