Qual (German Edition)
kein Gefühl mehr in dem Arm, der die Leiter hielt, und so fiel sie in den Schnee. Er drehte sich um und schaute zurück.
Im ersten Stock brannte ein Licht.
Einen Augenblick lang war Blaze zwei Personen. Eine von ihnen rannte einfach Richtung Straße – »volle Pulle« hätte George das genannt –, die andere kehrte zum Haus zurück. Für einen kurzen Moment konnte er sich nicht entscheiden. Dann ging er zurück, bewegte sich schnell, und seine Stiefel wirbelten kleine Schneewölkchen auf.
An einer noch aus dem Fensterrahmen hervorragenden Scherbe zerschnitt er sich die Handfläche durch den Fäustling hindurch. Er spürte es kaum. Dann war er wieder im Haus, schnappte sich den Korb, schwang ihn gefährlich weit herum, kippte das Baby um ein Haar aus.
Oben die Wasserspülung einer Toilette wie ein Donnern.
Er senkte den Korb in den Schnee und kletterte hinterher, ohne noch einen weiteren Blick auf die leblose Gestalt auf dem Boden hinter sich zu werfen. Er hob den Korb auf und »machte die Biege«.
Er blieb lange genug stehen, um sich die Leiter unter den Arm zu klemmen. Dann rannte er weiter zur Hecke. Dort blieb er stehen, um nach dem Baby zu sehen. Das Baby schlief immer noch friedlich. Joe IV. hatte nichts davon mitgekriegt, dass er aus seiner gewohnten Umgebung gerissen worden war. Blaze schaute zum Haus zurück. Das Licht im ersten Stock war wieder ausgegangen.
Er setzte den Korb in den Schnee und warf die Leiter über die Hecke. Einen Augenblick später plötzlich Lichter auf dem Highway.
Was, wenn es die Bullen waren? Mein Gott, was dann?
Er legte sich in den Schatten der Hecke, war sich sehr bewusst, wie deutlich seine Fußabdrücke zum Haus hin und wieder zurück zu sehen sein mussten. Es waren die einzigen Spuren.
Die Scheinwerfer wurden heller, blieben einen Moment strahlend hell, dann verblassten sie wieder, ohne auch nur eine Sekunde langsamer zu werden.
Blaze stand auf, hob seinen Korb wieder auf – ja, jetzt war es sein Korb – und ging zur Hecke. Mit dem Arm drückte er die oberen Äste auseinander, hob den Korb hinüber, um ihn auf der anderen Seite wieder abzustellen. Aber er konnte ihn nicht bis ganz nach unten absenken, musste ihn die letzten fünfzig, sechzig Zentimeter fallen lassen. Der Korb schlug dumpf im Schnee auf. Das Baby fand seinen Daumen und begann daran zu nuckeln. Im Licht der nächsten Straßenlaterne
konnte Blaze sehen, wie der Kleine seine Lippen schürzte und dann wieder entspannte. Fast wie ein Fischmaul. Die eisige Kälte der Nacht hatte ihn noch nicht berührt. Nichts ragte aus den Decken hervor als sein Kopf und diese eine, winzige Hand.
Blaze sprang über die Hecke, nahm seine Leiter und hob den Korb wieder hoch. In geduckter Stellung hastete er über die Straße. Dann weiter diagonal über das Feld. Am Maschendrahtzaun um den Oakwood-Parkplatz stellte er die Leiter wieder auf (diesmal war es nicht nötig, sie zu verlängern) und kletterte mit seinem Korb nach oben.
Er grätschte über den Zaun, balancierte dabei den Korb auf seinen gespreizten Beinen und war sich nur zu bewusst, dass seine Eier die Überraschung ihres Lebens erleben würden, wenn er es nicht schaffte, sich hier oben zu halten. Er riss die Leiter mit einer geschmeidigen Bewegung hoch, schnappte nach Luft, als die Belastung in seinen Beinen größer wurde. Die Leiter schwankte einen Moment, geriet aus dem Gleichgewicht, kam dann auf der Parkplatzseite des Zauns wieder auf. Er fragte sich, ob ihn wohl jemand hier oben beobachtete, aber es war dumm, darüber nachzudenken. Falls es tatsächlich jemand tat, konnte er ohnehin nichts dagegen tun. Jetzt spürte er den Schnitt in seiner Hand. Die Wunde pochte.
Er richtete die Leiter aus, balancierte den Korb dann auf der obersten Sprosse, stützte ihn mit einer Hand ab, während er sich vorsichtig auf eine tiefere Sprosse schwang. Die Leiter bewegte sich leicht, er verharrte. Dann hatte er einen festen Stand.
Mit dem Korb in der Hand kletterte er hinab. Unten angekommen,
klemmte er sich die Leiter wieder unter einen Arm und ging zu der Stelle hinüber, wo er den Ford geparkt hatte.
Er stellte das Baby auf den Beifahrersitz, öffnete die hintere Tür und manövrierte die Leiter hinein. Dann rutschte er hinter das Steuer.
Aber er fand den Schlüssel nicht. Er war in keiner seiner Hosentaschen. Auch nicht in seiner Jackentasche. Er hatte Angst, dass er ihn verloren hatte und jetzt noch mal über den Zaun musste, um ihn zu suchen, als er ihn aus dem
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