Qual (German Edition)
Anruf der Täter gibt. Einer der Kidnapper hat einen Tropfen Blut auf dem Schnee hinter der Grundstückshecke der Gerards zurückgelassen, das vermutlich von einer Verletzung stammt, die er sich beim Übersteigen des Maschendrahtzaunes des Oakwood-Parkplatzes zugezogen haben könnte. Sheriff John D. Kellahar nannte es »einen weiteren Strang des Seiles, das am Ende diesen Mann oder diese Bande hängen wird«.
Norma Gerard, die Urgroßtante des entführten Jungen, verstarb während einer Notoperation im Maine Medical Center (mehr auf Seite 2).
Blaze blätterte zu Seite zwei, aber dort stand nicht mehr viel. Falls die Bullen noch mehr auf Lager hatten, dann hielten sie ihr Wissen zurück. Sie brachten ein Foto vom »Kidnapping-Haus« und ein weiteres »Wo die Entführer eindrangen«. In einem kleinen Hinweisfeld hieß es: Appell des Vaters an die Entführer, Seite 6 . Blaze blättere nicht zu Seite sechs. Die Zeit lief ihm beim Lesen davon, und das konnte er sich im Moment nicht erlauben. Er war bereits viel zu lange fort, er würde mindestens weitere fünfundvierzig Minuten für die Rückfahrt benötigen, und außerdem …
Außerdem war das Auto heiß.
Walsh, dieser verdammte Dreckskerl. Blaze hoffte fast, die Organisation würde den erbärmlichen Bastard umlegen, weil
er ihre Wohnung hatte auffliegen lassen. Aber in der Zwischenzeit …
In der Zwischenzeit würde er es einfach darauf ankommen lassen müssen. Vielleicht kam er unerkannt zurück. Es würde alles nur noch erheblich schlimmer machen, wenn er den Wagen einfach zurückließ. Seine Fingerabdrücke waren überall – George nannte es immer »seine Marker«. Vielleicht kannten sie aber auch das Nummernschild; vielleicht hatte Walsh es aufgeschrieben. Er dachte langsam und gründlich darüber nach und entschied, dass Walsh das Kennzeichen nicht aufgeschrieben hatte. Wahrscheinlich nicht. Trotzdem, sie wussten, es war ein Ford, und er war blau … aber natürlich war er ursprünglich grün gewesen. Bevor er ihn umlackiert hatte. Vielleicht machte das den entscheidenden Unterschied. Vielleicht war es immer noch okay. Vielleicht auch nicht. Schwer zu sagen.
Vorsichtig näherte er sich dem Parkplatz, schlich sich förmlich an, aber er sah keine Bullen, und der Parkplatzwächter las in einer Illustrierten. Das war gut. Blaze stieg ein, startete den Motor und wartete darauf, dass die Bullen aus hundert verschiedenen Verstecken über ihn herfielen. Kein einziger tauchte auf. Als er den Parkplatz verließ, zog der Wächter mit kaum mehr als einem flüchtigen Blick den gelben Parkschein unter seinem Scheibenwischer hervor.
Zuerst Portland und dann Westbrook hinter sich zu lassen schien eine Ewigkeit zu dauern. Es war ein bisschen, wie mit einem offenen Krug Wein zwischen den Beinen zu fahren, nur noch schlimmer. Bei jedem Auto, das dicht hinter ihm auffuhr, war er überzeugt, dass es ein nicht gekennzeichnetes Polizeifahrzeug war. Während der Fahrt aus der Stadt
heraus sah er tatsächlich nur einen einzigen Polizeiwagen, der die Kreuzung der Routes 1 und 25 überquerte und mit heulender Sirene und Blaulicht einem Krankenwagen die Straße frei machte. Das zu sehen beruhigte ihn sogar. Bei so einem Polizeiwagen wusste man doch sofort, woran man war.
Als Westbrook hinter ihm lag, bog er zunächst auf eine Nebenstraße ab und dann auf eine zweispurige Asphaltstraße, die sich schon bald in einen gefrorenen, unbefestigten Feldweg verwandelte, der sich quer durch die Landschaft und durch den Wald nach Apex schlängelte. Nicht einmal dort fühlte er sich völlig sicher, und als er in die lange Zufahrt einbog, die zu seiner Hütte führte, war ihm mit einem Mal, als würden große Gewichte von seinem Körper genommen.
Er fuhr den Ford in den Schuppen und sagte sich, dort könnte er stehen bleiben, bis sich die Hölle in ’ne Eisbahn verwandelt hatte. Ihm war klar gewesen, dass Kidnapping eine große Sache war und dass es ziemlich heiß werden würde, aber das Ding hier glühte. Das Phantombild, das Blut, das er hinterlassen hatte, die schnelle und schmerzlose Art, wie dieser bessere Portier die private Spielwiese der Organisation hatte auffliegen lassen …
Doch all diese Gedanken verblassten in dem Augenblick, als er aus dem Wagen stieg. Joe schrie. Blaze konnte ihn sogar hier draußen hören. Er rannte über den Hof und stürmte ins Haus. George hatte irgendwas gemacht, George hatte …
Aber George hatte nichts getan. George war nicht mal in der Nähe.
Weitere Kostenlose Bücher