Qual (German Edition)
Nach einer Woche mit Temperaturen im zweistelligen Minusbereich erschienen minus sechs Grad schon beinahe wie eine Hitzewelle. Aber die Sonne bereitete kein Vergnügen, es machte keine Freude, auf Nebenstraßen nach Portland zu fahren. Er vertraute George nicht wirklich, was das Baby betraf. Er wusste nicht, warum, aber er traute ihm nicht. Denn, also, George war jetzt irgendwie ein Teil von ihm selbst, und, na ja, er nahm eben alle Teile mit, wenn er irgendwohin ging, selbst den George-Teil. So war es doch, oder?
Und dann fing er an, sich über den Holzofen Gedanken zu machen. Was war denn, wenn die Hütte abbrannte?
Dieses ausgesprochen düstere Bild drängte sich in seinen Kopf und wolle nicht mehr verschwinden. Ein Kaminbrand von dem Herd, den er extra noch geschürt hatte, damit es Joe nicht kalt war, falls er sich seine Decke wegstrampeln sollte. Funken stoben aus dem Kamin aufs Dach. Die meisten erloschen sofort, aber ein Funke, ein einziger Funke fand eine trockene Schindel und entzündete sich, griff mit seiner
Hitze nach den knochentrockenen Schindeln darunter. Dann rasten die Flammen die Balken entlang. Das Baby begann zu schreien, als die ersten Ranken des Rauchs dicker und dicker wurden …
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er den gestohlenen Ford auf über hundert hochgejagt hatte. Er ging sofort vom Gas. Das machte alles nur noch schlimmer.
Er stellte den Wagen auf dem Parkplatz an der Casco Street ab, gab dem Parkwächter ein paar Mäuse und ging zu Walgreen’s. Er holte sich einen Evening Express , ging dann weiter zu dem Ständer mit Taschenbüchern neben der Erfrischungshalle. Viele Western, Gruselromane, Krimis, Science-Fiction. Und dann, auf dem untersten Regal, ein dickes Buch mit einem lächelnden, kahlköpfigen Baby auf dem Umschlag. Den Titel entzifferte er schnell; keine schweren Wörter dabei. Kinder- und Säuglingspflege. Auf der Rückseite ein Foto von einem alten Typen, umringt von Kindern. Wahrscheinlich der Bursche, der es geschrieben hatte.
Er bezahlte seinen Kram und schlug im Hinausgehen die Zeitung auf. Mit offenem Mund blieb er wie angewurzelt auf dem Bürgersteig stehen.
Auf der ersten Seite war ein Foto von ihm.
Nein, kein Foto, sah er erleichtert, sondern eine Polizeizeichnung, so ein Phantombild, das nach den Angaben von Zeugen angefertigt wird. Es war nicht mal besonders gut. Es fehlte zum Beispiel die tiefe Delle an der Stirn. Seine Augen hatten die falsche Form. Seine Lippen waren in Wahrheit nicht annähernd so dick. Aber trotzdem war er zu erkennen.
Dann musste die alte Dame also aufgewacht sein.
Der Untertitel legte diese Vermutung ad acta, und zwar sehr schnell.
FBI SCHALTET SICH IN SUCHE NACH KIDNAPPERN EIN
Norma Gerard erliegt Kopfverletzung
Exklusiv für den Evening Express
von James T. Mears
DER FAHRER DES FLUCHTFAHRZEUGS bei der Entführung des Gerard-Babys – und möglicherweise der einzige Täter – ist auf dieser Seite abgebildet, exklusiv im Evening Express . Die Zeichnung wurde angefertigt von John Black, Zeichner bei der Polizei in Portland, und basiert auf einer Beschreibung, die von Morton Walsh abgegeben wurde, Nachtportier im Oakwood, einem neuen Hochhaus mit Eigentumswohnungen, eine Viertelmeile vom Grundstück der Familie Gerard entfernt.
Gegenüber der Polizei von Portland und den Deputies des Castle County Sheriff sagte Walsh am frühen Morgen aus, dass der Verdächtige gesagt habe, Joseph Carlton besuchen zu wollen, offensichtlich ein frei erfundener Name. Der mutmaßliche Babynapper fuhr eine blaue Ford-Limousine neuerer Bauart, und Walsh sagte aus, er habe eine Leiter auf der Rückbank bemerkt. Walsh befindet sich als wichtiger Zeuge noch in Polizeiobhut, und es werden Vermutungen darüber angestellt, weshalb er den Fahrer nicht eingehender nach seinen Absichten befragt hat, wenn man die fortgeschrittene Uhrzeit bedenkt (etwa zwei Uhr morgens).
Aus der Polizei nahestehenden Kreisen heißt es, dass es von der »geheimnisvollen Wohnung« des Joseph Carlton aus möglicherweise Verbindungen
zum organisierten Verbrechen gibt, was wiederum die Möglichkeit einschließt, dass die Entführung des Kindes ein gut organisierter krimineller »Coup« sein könnte. Weder FBI-Agenten (inzwischen am Tatort) noch die örtliche Polizei wollten zu dieser Möglichkeit Stellung nehmen.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es bereits weitere Spuren, obwohl es bislang weder Informationen über eine etwaige Lösegeldforderung noch über einen
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