Qual (German Edition)
Die Hände hoch, du Stück Scheiße – es ist aus!
Er setzte sich auf, schweißgebadet. Es war fast fünf, ungefähr eine Stunde war vergangen, seit er von dem Weinen des Babys geweckt geworden war. Das Morgengrauen zog langsam auf, aber bislang war es lediglich eine blassorange Linie am Horizont. Über ihm drehten sich die Sterne auf ihrer alten Achse, völlig gleichgültig gegenüber allem.
Wenn du nicht schleunigst aus dieser Hütte verduftest, haben sie dich spätestens morgen Mittag.
Aber wo sollte er hin?
Er kannte sogar die Antwort auf diese Frage. Kannte sie schon seit Tagen.
Er stand auf und zog sich mit schnellen, abgehackten Bewegungen an: Thermo-Unterwäsche, Wollhemd, zwei Paar Socken, Levi’s, Stiefel. Das Baby schlief noch, und Blaze
hatte nur Zeit, ihm einen kurzen Blick zuzuwerfen. Er kramte Papiertüten hervor, die er unter der Spüle aufbewahrte, und füllte sie mit Windeln, Fläschchen und Milchdosen.
Als die Tüten voll waren, trug er sie hinaus zu dem Mustang, der neben dem gestohlenen Ford stand. Wenigstens hatte er einen Schlüssel für den Kofferraum des Mustangs. Er stellte die Tüten hinein. Mehrmals rannte er zwischen Hütte und Wagen hin und her. Nachdem er sich jetzt entschieden hatte zu gehen, saß ihm die Panik im Nacken.
Er holte eine weitere Tüte und füllte sie mit Joes Kleidung. Er klappte den Wickeltisch zusammen und brachte auch den hinaus, dachte plötzlich, dass es Joe an einem neuen Ort gefallen würde, weil er an den Tisch gewöhnt war. Der Kofferraum des Mustangs war klein, aber nachdem er einige Tüten wieder herausgeholt und auf dem Rücksitz verstaut hatte, schaffte er es, den Wickeltisch noch hineinzuzwängen. Die Wiege passte auch noch auf den Rücksitz. Die Babymahlzeiten kamen in den Fußraum auf der Beifahrerseite, ein paar Babydecken obendrauf. Joe gewöhnte sich offenbar richtig an die Babynahrung, spachtelte das Zeug ordentlich weg.
Blaze holte noch ein weiteres Mal Sachen aus der Hütte, dann ließ er den Mustang an und stellte die Heizung so ein, dass es im Wagen schön schnuckelig warm wurde. Es war halb sechs. Das Tageslicht rückte an. Die Sterne waren blass geworden; jetzt leuchtete nur noch Venus hell.
Wieder im Haus, hob Blaze Joe aus seiner Wiege und legte ihn aufs Bett. Das Baby brummelte, wachte aber nicht auf. Blaze brachte die Wiege hinaus zum Wagen.
Zurück in der Hütte, schaute er sich noch einmal nervös um. Er nahm das Radio von der Fensterbank, zog den Stecker,
wickelte das Kabel um das Gerät und stellte es auf den Tisch. Im Schlafzimmer wuchtete er seinen alten braunen Koffer – verbeult und an den Ecken abgewetzt – unter dem Bett hervor. In einem wilden Durcheinander stapelte er den Rest seiner Kleidung dort hinein. Ganz obendrauf legte er noch einige Herrenmagazine und ein paar Comichefte. Den Koffer und das Radio trug er zum Auto hinaus, das langsam voll wurde. Dann kehrte er ein letztes Mal ins Haus zurück.
Er breitete eine Decke aus, legte Joe darauf, wickelte ihn ein und legte das ganze Bündel in seine Jacke. Dann zog er den Reißverschluss der Jacke zu. Joe war inzwischen wach. Er blinzelte aus seinem Kokon hervor wie eine Wüstenspringmaus.
Blaze trug ihn zum Auto, rutschte hinters Lenkrad und legte Joe auf den Beifahrersitz.
»Und jetzt bleibst du brav da liegen und machst keinen Unsinn, Kleiner«, sagte er.
Joe lächelte und zog sich prompt die Decke über den Kopf. Blaze stieß ein leises Lachen aus, und im gleichen Moment sah er sich selbst, wie er das Kopfkissen auf Joes Gesicht drückte. Er schüttelte sich.
Er setzte aus dem Schuppen zurück, wendete das Auto, rumpelte die Zufahrt hinunter … und obwohl er es nicht wusste, kam er einem großräumig angelegten Ring von Straßensperren um weniger als zwei Stunden zuvor.
Er benutzte entlegene Landstraßen und Nebenstraßen, um Portland und seine Vororte zu umfahren. Der gleichmäßige Klang des Motors und die warme Heizungsluft schickten Joe fast umgehend zurück ins Traumland. Blaze stellte im Radio
seinen Lieblings-Countrysender ein, der mit Sonnenaufgang auf Sendung ging. Er hörte die morgendliche Lesung aus der Bibel, danach einen landwirtschaftlichen Bericht und schließlich einen schwer rechts orientierten redaktionellen Beitrag von der Freedom Line in Houston, der George von einem Fluchanfall in den nächsten getrieben hätte. Schließlich kamen die Nachrichten.
»Die Suche nach den Entführern von Joseph Gerard IV. geht weiter«, sagte der
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