Qual (German Edition)
Tante-Emma-Laden an der Route 1, wo wir uns immer unseren Sprit geholt haben, der wäre wahrscheinlich okay.«
»Ja?«
»Hast du noch diesen Colt?«
»Unterm Bett, in einem Schuhkarton.«
»Den nimmst du mit. Und zieh dir einen Strumpf übers Gesicht. Sonst erkennt dich der Typ, der nachts da arbeitet.«
»Okay.«
»Du gehst Samstagnacht rein, kurz bevor sie zumachen. Sagen wir, so um zehn vor eins. Die nehmen keine Schecks, also müsstest du so zwei-, dreihundert Mäuse einsacken können.«
»Klar! Das ist super!«
»Blaze, eine Sache noch.«
»Was denn, George?«
»Nimm vorher die Kugeln aus der Kanone, okay?«
»Klar, George, das weiß ich doch, so machen wir’s doch immer.«
»So machen wir’s immer, genau. Zieh dem Typen eins über, wenn’s denn sein muss, aber sorg dafür, dass es bestenfalls auf Seite drei im Regionalteil landet, wenn die’s in der Zeitung bringen.«
»Genau.«
»Du bist ein Arschloch, Blaze. Und das weißt du auch, richtig? Du wirst das niemals schaukeln. Vielleicht wär’s besser, wenn sie dich bei dem kleinen Ding erwischen.«
»Wird nicht passieren, George.«
Keine Antwort.
»George?«
Keine Antwort. Blaze stand auf und schaltete das Radio ein. Beim Abendbrot hatte er schon wieder alles vergessen und deckte für zwei.
4
CLAYTON BLAISDELL JUNIOR kam in Freeport, Maine, auf die Welt. Drei Jahre später wurde seine Mutter von einem Lastwagen überfahren, als sie mit einer Einkaufstüte die Hauptstraße überquerte. Sie war sofort tot. Der Fahrer war betrunken und hatte keinen Führerschein. Vor Gericht sagte er, es tue ihm leid. Er heulte. Er sagte, er werde wieder zu den Anonymen Alkoholikern gehen. Der Richter verurteilte ihn zu einer Geldstrafe und sechzig Tagen Knast. Klein Clay bekam lebenslänglich bei Papa, der jede Menge vom Trinken verstand und nichts von den AA. Clayton senior arbeitete bei Superior Mills in Topsham, wo er die Sortiermaschine bediente. Kollegen behaupteten, ihn gelegentlich auch schon mal nüchtern bei der Arbeit gesehen zu haben.
Clay konnte bereits bei seiner Einschulung lesen und kapierte problemlos die zugrunde liegende Idee hinter zwei Äpfel plus drei Äpfel. Schon damals war er für sein Alter recht kräftig, und obwohl Freeport eine harte Stadt war, hatte er keinerlei Schwierigkeiten auf dem Schulhof, auch wenn er dort nur selten ohne ein Buch in der Hand oder unter den Arm geklemmt gesehen wurde. Sein Vater jedoch war noch kräftiger, und die anderen Kids fanden es immer höchst interessant, zu sehen, welche Körperteile bandagiert und an welchen Stellen wieder blaue Flecken waren, wenn Clay Blaisdell montags in die Schule kam.
»Es würde an ein Wunder grenzen, wenn er tatsächlich erwachsen wird, ohne vorher zumindest schwer verletzt zu werden. Wenn er ihn nicht sogar vorher umbringt«, meinte eines Tages Sarah Jolison im Lehrerzimmer.
Das Wunder geschah nicht. Eines verkaterten Samstagmorgens kam Clayton senior aus dem Schlafzimmer in der Wohnung im ersten Stock geschwankt, wo er mit seinem Sohn lebte. Clay hockte im Schneidersitz auf dem Wohnzimmerboden, sah sich Zeichentrickfilme im Fernsehen an und futterte Cornflakes. »Wie oft hab ich dir eigentlich schon gesagt, du sollst diese Scheiße nicht hier drin essen?«, wollte Senior von Junior wissen, hob ihn hoch und warf ihn die Treppe hinunter. Clay landete auf dem Kopf.
Sein Vater ging runter, hob ihn auf, schleppte ihn nach oben und warf ihn gleich noch mal hinunter. Beim ersten Mal blieb Clay bei Bewusstsein. Beim zweiten Mal ging das Licht aus. Sein Vater ging runter, hob ihn auf, schleppte ihn hoch und sah ihn an. »Kleiner Dreckskerl von einem Schauspieler«, sagte er und knallte ihn wieder die Treppe hinunter.
»So!«, sagte er zu dem schlaffen Bündel am Fußende der Treppe, das sein inzwischen im Koma liegender Sohn war. »Vielleicht überlegst du’s dir jetzt zweimal, bevor du noch mal diese Scheiße ins Wohnzimmer schleppst.«
Leider dachte Clay nie wieder zweimal über irgendwas nach. Drei Wochen lang lag er bewusstlos im Portland General Hospital. Der für seinen Fall zuständige Arzt äußerte die Befürchtung, dass er bis zu seinem Tod in genau dieser Verfassung bleiben würde – ein Stück menschliches Gemüse. Aber der Junge wachte wieder auf. Leider war er nicht mehr
ganz richtig im Kopf. Die Tage, an denen er mit Büchern unter dem Arm herumrannte, waren definitiv vorbei.
Die Behörden glaubten Clays Vater nicht, als er ihnen gegenüber beteuerte,
Weitere Kostenlose Bücher