Qual (German Edition)
zum Cumberland Center.
Bis dorthin waren es drei Meilen, und er war schon nach der Hälfte der Strecke außer Atem. Sein Gesicht fühlte sich taub an. Genau wie seine Hände und Füße, trotz der dicken Socken und Handschuhe. Aber er stapfte weiter, versuchte erst gar nicht, die Schneeverwehungen zu umgehen, sondern pflügte schnurstracks geradeaus. Zweimal stolperte er über Zäune, die im Schnee vergraben lagen, der eine davon ein Stacheldrahtzaun, der seine Jeans aufriss und in sein Bein
schnitt. Er rappelte sich einfach wieder hoch und lief weiter, verschwendete keinen Atem für einen Fluch.
Eine Stunde nach seinem Aufbruch erreichte er eine Baumschule. Perfekt gestutzte kleine Blaufichten zogen sich in langen Reihen dahin, jede in einem Abstand von rund zwei Metern zu ihren Nachbarn. Blaze konnte einen langen, geschützten Korridor entlanggehen, wo der Schnee vielleicht gerade mal zehn Zentimeter tief war … und manche Stellen waren sogar völlig frei. Es war das Cumberland County Reserve, und das Gelände grenzte unmittelbar an die Hauptstraße.
Als er den westlichen Rand des Spielzeugwaldes erreichte, setzte er sich oben an den Rand der Böschung und rutschte dann auf seinem Hintern runter zur Route 289. Ein Stück die Straße hinauf, fast verloren im treibenden Schnee, erkannte er ein Blinklicht, an das er sich gut erinnerte – rot auf zwei Seiten, gelb auf den anderen beiden Seiten. Dahinter schimmerten ein paar vereinzelte Straßenlaternen wie Gespenster.
Blaze überquerte die schneebedeckte und völlig unbefahrene Straße und ging zu der Exxon-Tankstelle an der Ecke. Eine Telefonzelle an der Seite des aus Hohlblocksteinen errichteten Gebäudes lag in einer Pfütze Licht. An einen wandelnden Schneemann erinnernd, ging Blaze hinüber. Er beugte sich über das Telefon. Für einen kurzen Augenblick geriet er in Panik, als es aussah, als habe er kein Kleingeld dabei. Doch dann fand er zwei Vierteldollarmünzen in seiner Hosentasche und eine weitere in seiner Jacke. Und dann – bingo! – stellte er fest, dass er überhaupt kein Geld brauchte, um die Auskunft anzurufen.
»Ich will Joseph Gerard anrufen«, sagte er. »In Ocoma.«
Es folgte eine kurze Pause, dann wurde die Nummer durchgesagt. Blaze schrieb sie auf die beschlagene Scheibe, die das Telefon zumindest ein wenig vor dem Schnee schützte, wobei er natürlich nicht wusste, dass er soeben nach einer nicht im Telefonbuch verzeichneten Nummer gefragt und diese allein auf Anweisung des FBI erhalten hatte. Diese Aktion öffnete natürlich auch aufdringlichen Mitfühlenden und Spinnern Tür und Tor, aber wenn die Entführer nicht anriefen, dann konnte doch auch die ganze Elektronik zur Rückverfolgung von Anrufen nicht zum Einsatz kommen.
Blaze wählte die 0 und nannte der Dame die Telefonnummer der Gerards. Er fragte, ob der Anruf gebührenpflichtig sei. War er. Er fragte, ob er für fünfundsiebzig Cent drei Minuten reden könne. Die Auskunft verneinte; ein dreiminütiges Gespräch nach Ocoma würde ihn einen Dollar neunzig kosten. Ob er eine Telefonkreditkarte besaß?
Besaß Blaze nicht. Blaze besaß überhaupt keine Kreditkarten.
Die Dame von der Telefongesellschaft sagte ihm, er könne das Gespräch auch über seinen normalen Privatanschluss abrechnen lassen, und in der Hütte gab es ja in der Tat ein Telefon (obwohl es seit Georges Tod kein einziges Mal geklingelt hatte), doch dazu war Blaze natürlich zu clever.
Dann vielleicht als R-Gespräch?, kam der nächste Vorschlag.
»R-Gespräch, ja!«, sagte Blaze.
»Ihr Name, Sir?«
»Clayton Blaisdell junior«, sagte er. In seiner Erleichterung darüber, dass er diesen langen, mühsamen Weg nicht umsonst gemacht hatte, nur weil ihm das passende Geld fürs Telefonieren fehlte, wurde Blaze dieser taktische Fehler fast zwei Stunden lang nicht bewusst.
»Vielen Dank, Sir.«
»Ich danke Ihnen «, sagte Blaze und kam sich ziemlich clever vor. O-oh, cool wie ein Stuhl.
Das Telefon am anderen Ende der Leitung läutete nur einmal, bevor jemand abhob. »Ja?« Die Stimme klang misstrauisch und müde.
»Ich habe Ihren Sohn«, sagte Blaze.
»Mister, ich hatte heute schon zehn Anrufer, die genau das Gleiche behauptet haben. Beweisen Sie’s mir.«
Blaze geriet aus dem Konzept. Das hatte er nicht erwartet. »Also, er ist jetzt nicht bei mir, wissen Sie. Mein Partner hat ihn.«
»Ach, ja?« Sonst nichts. Nur ach, ja ?
»Ich hab Ihre Frau gesehen, als ich rein bin«, sagte Blaze. Was anderes fiel ihm
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